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Nebensachen aus PragDie fragile Psyche des Honza

Wohnungssuche in Prag hat ihren ganz besonderen Charme. Die Bibel des Wohnungssuchenden heisst Annonce. In dieser Zeitung werden so allerhand Wohnungen zu so allerhand Preisen angeboten, montags in Grün, mittwochs in Gelb und Freitags in Blau. Und immer wieder findet man in den Anzeigen den Satz: „Ausländer brauchen erst gar nicht anzurufen.“ In Tschechien mag man Fremde nicht so besonders gern. Allerdings wächst die Toleranz proportional mit der Zahlungskraft des Eindringlings.

In den ersten Jahren nach der samtenen Revolution war es allgemein üblich, Ausländer mit Goldeseln gleichzusetzen. Alles hatte zwei Preise, Hotels, Eintrittskarten, schales Bier. Vielleicht ist das ja die böhmische Art, sich pauschal von Ausländern Reparationen dafür zu holen, was sie dem Land im letzten Jahrtausend so alles angetan haben. Denn die Tschechen haben für ihr Auf-der-Hut-Sein vor Menschen von jenseits ihrer Grenzen wenigstens historische Gründe. Allein im vergangenen Jahrhundert ist man sowohl von Westen als auch von Osten in das Land eingefallen. Als Resultat ist die Bevölkerung sozusagen von links und rechts gleichermaßen mit Komplexen beladen.

„Also, die Deutschen mögen wir nicht, seit sie uns den Hus verbrannt haben“, versuchte mir ein tschechischer Bekannter, nennen wir in mal Honza – das ist ungefähr das Pendant zum deutschen Michel –, jüngst zu erklären. Das ist natürlich vereinfachter Blödsinn, weil a) dem tschechischen Nationalhelden Jan Hus von einem internationalen Gerichtshof, sprich Konzil, Feuer unterm Hintern gemacht wurde und b) ein gewisser deutsch-tschechischer Antagonismus schon davor existierte. So erklärt in einer der ältesten tschechischen Schriften, der Dalimilchronik aus dem 14. Jahrhundert, der Held, er nähme sich lieber eine tschechische Bauerstochter zur Frau als eine deutsche Prinzessin. Wer Böhmen beherrscht, beherrscht die Welt, glaubte man damals, also ging es auch da schon um Vorherrschaft und Macht, nicht etwa um Nationalstolz. „Russen und Polen“, fuhr Honza unbeirrt fort, „sind uns irgendwie unterlegen.“

Dass die Tschechen die Russen nicht mögen, wegen 1968 und der Folgen, ist bekannt. Die Polen mögen sie nicht, weil die sich schon zu österreich-ungarischen Zeiten als viel mutiger gegenüber unerwünschten Eindringlingen gezeigt haben, was beim politisch interessierten Durchschnittstschechen bestenfalls ein schlechtes Gewissen hervorruft. Aber auch anderen Nationen, selbst denen, die glauben, Böhmen liege am Meer, ist man dort nicht allzu wohl gesinnt.

Ein englischer Freund von mir erinnert sich gern an seinen ersten Besuch in Prag vor 15 Jahren, als ihn ein anderer Honza partout nicht an seinem Kneipentisch sitzen lassen wollte, weil Großbritannien die Tschechoslowakei ja 1938 in München an Nazideutschland verbraten hat. Seit man irgendwo auf einem südböhmischen Kartoffelacker ein paar alte Münzen gefunden hat, ist auch vom ethnischen Standpunkt her klar, warum die Tschechen den fremdartigen Slawen, Germanen, Angelsachsen gegenüber Verdacht hegen. Die Tschechen sind nämlich – hätten Sie’s gedacht? – Kelten. Diese Theorie wird ernsthaft gehandelt; allein der Gedanke, in irgendeiner Form mit Russen, Deutschen oder Polen verwandt zu sein, erweist sich offenbar als zu grauenhaft für die fragile Psyche des tschechischen Honza. Keltentum als Therapie.

Ulrike Braun

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