■ Nebensachen aus Mexiko-Stadt: Lindenstraße auf mexikanisch
Der Countdown lief: Würde der Schurke mit den stahlblauen Augen, der als Polizeikommandant allerlei unliebsame Mitwisser auf dem Gewissen hat, mit der eigenen Stieftochter in die Federn will und gelegentlich in die kolumbianische Hauptstadt jettet, um dort mit sonnenbebrillten finstren Gestalten Koksexporte zu verhandeln, am Ende bezahlen müssen? Und welchem seiner beiden wohlgeratenen Söhne würde die schmollmundige Protagonistin nun ihre definitive Gunst erweisen? Und schließlich, für die politisch etwas korrekteren Gemüter: Wer zum Teufel ist Mister X, der elegante Oberschurke mit der Zigarre und dem diskret verdunkelten Antlitz, an dessen Schreibtisch alle Fäden zusammenlaufen und der zum Schluß gar ungeschoren davonzukommen scheint — ein Minister, ein Drogenboß oder gar alles beides?
Kein Zweifel, „Nada personal“ — etwa: „Nicht persönlich zu nehmen“ —, eine Art Polit- Lindenstraße auf mexikanisch, macht süchtig. Und seit letzter Woche bin ich auf Entzug. Meine Umgebung nahm die neue Leidenschaft zunächst etwas ungläubig zur Kenntnis. „Was?“ staunten Anrufer, die mich zwischen Viertel nach neun und zehn vom Bildschirm wegzuklingeln wagten, über meine unwirsche Kurzangebundenheit. „Du guckst doch wohl nicht telenovelas?“ Doch, ich wurde bekennende Guckerin: Ich brauche meine tägliche Dosis. Und ich weiß, ich bin nicht allein.
Tausende von Gleichgesinnten, die bislang nur klammheimlich dem Dallas-Clan oder brasilianischen Seifenopern gefrönt hatten, konnten sich dank TV Azteca, dem zweitmächtigsten Fernsehkonzern des Landes, endlich allabendlich politisch korrekt berieseln lassen. Denn „Nada personal“ ist, wie es im Trailer so schön hieß, „die pure Wirklichkeit, zur Fernsehserie verarbeitet“. In der Tat ein echter Realitätsschock für plüschgewohnte Tele-Junkies: Schon die skandalumwitterten mexikanischen Justizbehörden sind ein eher ungewöhnlicher Hintergrund für eine Fernsehserie. Dann ist da der besagte blauäugige Oberpolizist mit dem imposanten Decknamen Aguilar Real („echter Adler“), und da sind seine zwei Prachtexemplare von Söhnen, einmal Alfonso als ehrlicher Bulle mit der Pistole am rechten Fleck und sein Bruderherz Luis Mario, ein äußerst investigativer TV-Reporter, nur leider alle beide in dieselbe Frau verknallt — nämlich Camila, die mit dem Schmollmund. Desweiteren tummeln sich in dem Streifen 1 lesbische Polizistin, 1 rollstuhlfahrende Rechtsanwältin, die einer Unterprivilegierten ihr Kind wegadoptiert, 1 Mama als Alkoholikerin, eine großzügige Prise vorehelicher Sex, ein paar Killer in Uniform und schließlich jede Menge Volkes Stimme in Gestalt von anständigen Hausangestellten und beherzten KiezbewohnerInnen.
Zur besonderen Würze gab es noch einen tagesaktuellen Bezug: So konnten die Geschehnisse des Tages von den Protagonisten — mittels nachträglich gedrehter eingespielter Inserts — schon am selben Abend kommentiert werden. Und damit soll es nun vorbei sein? Vielleicht ja doch noch nicht ganz. Gerade drei Tage nach dem Schlußkapitel des realmexikanischen Serienthrillers berichteten die Medien von der Festnahme des obersten Drogenfahnders des Landes, dem General Jesús Gutiérrez Rebollo, der wiederum mit dem mächtigsten Capo Mexikos unter einer Decke stecken soll. „Der Aguilar Real existiert also“, schlußfolgerte der Kommentator einer großen Tageszeitung. Jetzt sei nur noch die Frage, wer denn „Señor X“ in Wirklichkeit sei — in „Nada personal“ war dieser zum Schluß vor die Presse getreten, hatte entrüstet mit der Zigarre gefuchtelt und „lückenlose Aufklärung“ im „Kampf gegen die Korruption“ gefordert. Fortsetzung folgt bestimmt. Und der Countdown läuft weiter. Anne Huffschmid
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