■ Nebensachen aus Madrid: Solidarisch in den Konsumrausch
Das war's! Ein für allemal! Niemand wird mir mehr verbieten, eine Zigarette anzustecken. Und schon gar nicht mit dem Hinweis, Rauchen sei asozial, wegen der gesundheitlichen Gefährdung der passiv qualmenden Mitbürger. Nicht ich, sondern die Nichtraucher sind unsolidarisch. Denn seit Jahresbeginn führt die spanische Tabacalera 0,7 Prozent ihrer Gewinne, die sie mit der hauseigenen Marke Fortuna erzielt, an Projekte von regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) in Lateinamerika ab. Wie könnte ich guten Gewissens einer solch noblen Aktion meine Unterstützung verweigern?
Das staatliche Tabakmonopol ist nicht das einzige Unternehmen, daß sich der „Kampagne 0,7 %“ angeschlossen hat. Zusehens füllt die Privatwirtschaft die Kassen diverser Initiativen. Und kommt damit der von der UNO verlangten Abgabe von 0,7 Prozent der Gewinne zugunsten der Dritten Welt nach. Wer „politicamente correcto“ sein will, der propagiert in Spanien nicht mehr den Konsumverzicht. Er ist solidarisch und bringt sein Geld unter die Leute.
Natürlich wollen die Geschäfte richtig ausgewählt sein. Aber die Liste ist lang und bietet für jeden etwas. Jung, dynamisch und solidarisch? Dann heißt es: telefonieren, was das Zeug hält, natürlich nur mit den schmucken Handys des zweitgrößten spanischen Anbieters. Kulturinteressiert? Ein solidarischer Theater- oder Kinobesuch sei empfohlen, vielleicht mit einem anschließenden Abstecher in die Madrider Kneipenviertel Malazaña oder Chamberri. Trinken, was das Zeug hält, heißt das Motto. Denn immer mehr Pubs führen 0,7 Prozent jedes Vollrausches an die NGOs ab. Oder vielleicht ein Einkaufsbummel gefällig? Bücher, Schallplatten, Zeitschriften, Klamotten, auch hier bietet die Liste dem Dritt-Welt-Aktivisten alles, wonach sein Herz begehrt.
Und wer mit eigenen Augen sehen will, wohin sein Geld geht, dem sei eine der größten Reiseagenturen des Landes empfohlen. Je weiter und je exotischer, um so teurer und damit um so solidarischer. Selbst Mahou, die hauptstädtische Brauerei, wollte sich der Kampagne anschließen. Doch irgendwer kam auf die Idee, daß das Geschäft mit der Alkoholabhängigkeit nicht so recht ins Profil der Kampagne passen will. Schade. Wo ich doch so gern ein Bierchen oder zwei schlürfe.
Und wer beim solidarischen Konsumrausch übertreibt und plötzlich vor einem leeren Konto steht, für den gibt es Mastercard Arco Iris (Regenbogen) – die solidarische Kreditkarte. Sieben Pfennig von jedem Zehner gehen an gemeinnützige Projekte. Und das Schönste daran: Die KundInnen wählen selbst, wohin der Solidaritätsobolus gehen soll: Fraueninitiativen, Schwulen- und Lesbengruppen, Ärzte ohne Grenzen, das Angebot ist groß. Da machen selbst die Miesen auf dem Konto wieder Spaß.
Was höre ich da schon wieder? Ich soll meine Zigarette endlich ausmachen. Hab' ich denn nicht lang und breit erklärt, warum ich weiterrauche? Was? Tabacalera ist maßgeblich an der Abholzung der Amazonasregenwälder beteiligt, um dort Tabakplantagen anzulegen? Hmmm. Naja, irgendwem wird schon ein Projekt einfallen, um den Schaden wieder wett zu machen. Reiner Wandler
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