■ Nebensachen aus Kairo: Telegraphische Beleidigung des Pharao
Ein unschuldiger Gang ins ägyptische Telegrafenamt kann leicht in der Gefängniszelle enden. Zumindest wenn man, wie im Falle Mahmud Taifurs, ein Telegramm an „Siadat al-Ra'is“ – „Eure Exzellenz der Präsident“ Hosni Mubarak richtet, und das nicht gerade diplomatischen Inhalts. „Oh Mubarak – die Gerechtigkeit ist unter deiner Herrschaft verschwunden – es gibt keine Sicherheit mehr – sagt nein zu Mubarak“, hieß es in dem Kabel.
Es war das Schicksal seines Vaters, das Mahmud zu einem derartigen, in Ägypten äußerst ungewöhnlichen Telegrammstil an die oberste Obrigkeit getrieben hatte. Sein Vater, ein kleiner Pächter, unweit der Nildelta-Stadt Damanhur im Norden Ägyptens, war von dem Landbesitzer ohne weitere Angaben von seinem Boden vertrieben worden. Der Vater setzte sich zur Wehr und schickte mehrere Protesttelegramme an örtliche Offizielle. Die blieben allerdings allesamt unbeantwortet. „Lediglich die falsche Adresse“, dachte sein Sohn und nahm die Angelegenheit kurzerhand in die eigenen Hände.
Doch das fatale Kabel an den Präsidenten fand erst gar nicht den Weg in die Hauptstadt Kairo. Ein pflichtversessener Telegrafenbeamter nahm statt dessen den Telefonhörer zu Hand und meldete der örtlichen Polizei den ungeheuerlichen Inhalt der Depesche. Die lokalen Sicherheitskräfte handelten unverzüglich und holten Mahmud ohne jeglichen Haftbefehl in die Polizeistation. Zunächst sollte er dort vier Tage verbringen, bis die Untersuchungen im Fall der „Beleidigung des Präsidenten der Republik“ abgeschlossen waren.
Dank des seit 18 Jahren geltenden Notstandsgesetzes kam es nie zu einem Gerichtsprozeß. Statt dessen wurde Mahmud noch einmal 15 Tage in Verwahrungshaft genommen. Nach Ablauf dieser Frist bekam er gleich noch einmal 15 Tage aufgebrummt. Schließlich kann man in Ägypten nicht so weiteres ungestraft „Nein zum Präsidenten“ sagen.
Wahrscheinlich wäre Mahmud auf der Polizeistation langsam verrottet, wäre seine Familie nicht auf den Plan getreten. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, sandte sie gleich ein Telegramm zur Unterstützung von Mubaraks vierter Amtsperiode, die im Oktober per Referendum beschlossen werden wird. Dem folgten Briefe an den obersten Staatsanwalt, den Parlamentssprecher, die Menschenrechtsorganisation und die Oppositionszeitungen. Eine von ihnen, die täglich erscheinenden Zeitung Al Wafd, nahm sich des Falles genüßlich an und berichtete fast täglich über den Hungerstreik, in den die Taifurs getreten waren.
Schließlich erreichte der Fall das offene Ohr des Präsidenten. Der pfiff seinen übereifrigen Sicherheitsapparat zurück und verfügte persönlich die Freilassung des Bauernsohnes und eine Neubefassung mit dem Fall seines Vaters und dessen feudalen Gegenspielers.
Mahmuds Heimkehr wurde vom ganzen Dorf gefeiert. Die Nachbarn machten ihm bis zum nächsten Morgen die Aufwartung. Der Hungerstreik fand mit einem bäuerlichen Festmahl sein glückliches Ende. Er habe nur seinem Vater helfen wollen und nie die Absicht gehabt, irgendeinen Verantwortlichen zu beleidigen, ließ Mahmud noch einmal verlauten. Er konnte sich kaum der Küsse und Umarmungen erwehren, und die Dorfbewohner stimmten einen Lobesgesang an: „Gott ist groß – lang lebe Mubarak, der stets den Unterdrückten beisteht.“ Karim El-Gawhary
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