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■ Nebensachen aus BukarestSchwarze Löcher

Der Kran auf der Eminescu- Straße war lange Zeit in Vergessenheit geraten. Niemand kümmerte sich um ihn, und niemand fragte, ob der Bauherr jemals wieder auftauchen würde, um das Gebäude fertigstellen zu lassen. Erst als der Rost den Kran schon sichtbar angefressen hatte, realisierten die Anwohner, in welch gefährlicher Nachbarschaft sie lebten – das Ding droht auf Wohnhäuser zu stürzen. Sie alarmierten der Reihe nach Katastrophenschutz, Polizei, Bürgermeisteramt, eine Parlamentskommission und die Redaktion eines Skandalblattes. Seither sind Monate vergangen. Nichts ist geschehen. Einige Anwohner haben inzwischen graue Haare bekommen, andere sind herzkrank geworden und nehmen bei Unwettern Beruhigungstabletten ein.

Dabei können sie im Vergleich zu anderen noch froh sein. Zum Beispiel fallen nachts ständig hochnüchterne Bürger in die Bukarester Kanalisation. Dies hängt mit der Kanaldeckel-Kriminalität zusammen. Die Deckel sind durch ihr Gewicht, welches sie beim Schrotthändler auf die Waage bringen, ein beliebtes Diebstahlsobjekt. Nun können aber die Angestellten der Abwasserwerke einerseits ihre Kanaldeckel nicht rund um die Uhr überwachen, und es ist auch kein Geld da, die gestohlenen zu ersetzen. Anderseits vergessen die Verantwortlichen meistens, Warnschilder vor den offenen Kanaleingängen aufzustellen. So sind diese nun eine Art schwarze Löcher. Bekannt wurde vor Jahren der Fall eines Mannes, dessen Ehefrau bei einem gemeinsamen Abendspaziergang spurlos vom Erdboden verschwand, im Grunde aber nur in die Kanalisation gefallen war. Die Zeit hat solche Geschichten solange addiert, bis dabei graue Alltäglichkeit herauskam.

Doch das Gesetz der gewissenhaften Verantwortungslosigkeit an höherer Stelle ist weitaus interessanter. So vergessen die Parlamentsabgeordneten in Bukarest meistens, dringende Gesetze zu verabschieden. Falls sie es aber nicht vergessen, vergißt ein Ministerium die Ausführungsbestimmungen zu erarbeiten. Sind diese dennoch irgendwann ausgearbeitet, vergißt eine Behörde, daß sie ein neues Gesetz anwenden muß. Das Gesetz über Auslandsinvestitionen befindet sich immerhin schon im mittleren Stadium: Das Finanzministerium hat seit Jahresanfang vergessen, die Ausführungsbestimmungen zu erarbeiten.

Freilich vergessen die rumänischen Regierungsbeamten auch ihre eigenen Chefs. Der Außenminister konnte unlängst nur verspätet zu einem wichtigen UNO-Treffen reisen, weil seine Protokollabteilung vergessen hatte, ihm einen Flug zu reservieren. Und der Staatspräsident kam vor einiger Zeit in Verlegenheit, weil sein Planungsstab das Datum eines Staatsbesuchs vertauscht hatte. Das Versehen fiel erst kurz vor der Landung des Präsidentenflugzeugs im betreffenden Land auf.

Wie zum Trotz konnte sich der Staatspräsident eine noch größere Leistung nicht verkneifen: Strenger Antikommunist, zeichnete er kürzlich einen alten Herren mit einem Verdienstkreuz aus – wobei ihm entfallen war, daß der Betreffende vor 40 Jahren Direktor eines kommunistischen Gefängnisses war, in dem Oppositionelle liquidiert wurden. Nur einige Tage später warf der Staatspräsident dann der Europäischen Union vor, sie habe Rumänien vergessen. Allerdings nicht, ohne daß zuvor das Ministerium für europäische Integration vergessen hatte, das Programm zum EU-Anschluß in Brüssel fristgerecht abzugeben. Keno Verseck

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