piwik no script img

■ Nebensachen aus BrüsselNachweihnachtliche Bescherung in den Apotheken

In Belgien kommt die eigentliche Bescherung erst nach Weihnachten. Nach altem Brauch gehen die Leute im Januar in die Apotheken und holen sich ihr Geld zurück. Nicht alles natürlich, nur zehn Prozent von dem, was sie das vergangene Jahr über für die Medikamente bezahlt haben. Aber das reicht, um den Apothekenbesitzern des Landes alljährlich den Jahresanfang zu verhageln.

Auf die Sozialisten ist unsere Apothekerin in diesen Tagen deshalb gar nicht gut zu sprechen. Die haben ihr das eingebrockt. Denn früher, als die Welt noch übersichtlich in Christliche und Sozialisten eingeteilt war, da wurden in Belgien auch die Medikamente weltanschaulich korrekt angerührt. Von Christen für Christen und von Sozis für Sozis. Und nicht nur Medikamente, ganz Belgien war nach diesem Muster geordnet und ist es zum Teil heute noch. Krankenkassen etwa sind nicht staatlich oder privat, sie sind christlich oder sozialistisch und weisen enge Verfilzungen mit den jeweiligen politischen Parteien auf. Auch die Freie Universtität Brüssel heißt nur deshalb frei, weil sie nicht katholisch ist. Bei den Schulen ist das anders herum, die nennen sich frei, wenn nicht laizistische Politiker, sondern die Kirchen den Daumen drauf haben.

Undurchschaubares Belgien. Jedenfalls haben die sozialistischen Apotheken, und davon gibt's heute immer noch ein paar hundert, nach dem Krieg angefangen, einen Teil ihrer Gewinne an die Kunden zurückzuzahlen. Solidarischer geht es nicht. Denn im Grunde hätten die Sozi-Apotheken, die den Sozi-Krankenkassen gehören, die Überschüsse auch auf die Beitragszahler verteilen können. Aber so kriegen eben die das Geld, die es am nötigsten haben. Je kränker, desto mehr fließt zurück.

Nur unsere Apothekerin findet das nicht so toll. Sie ist nämlich nicht sozialistisch, sondern eher knausrig katholisch und hat vor ein paar Jahren einmal versucht, die vielen Franken einfach zu behalten. Da hatte sie dann ein frohes altes und ein schlechtes neues Jahr. Die Kunden sind einfach weggeblieben und ein paar hundert Meter weiter in die nächste rote Apotheke gegangen. Übrigens auch die katholischen. Beim persönlichen Klingelbeutel hört die Glaubenstreue auf. Seitdem zahlt sie wieder, was nicht nur unser Doktor, ein echter Roter, voll in Ordnung findet. Er selbst hat das belgische System soweit verinnerlicht, daß er eine ganze Reihe von Patienten umsonst behandelt und dafür ruhigen Gewissens den Staat um einen Teil der Steuern bescheißt.

Der ist schließlich schuld, daß es sich einige Patienten nicht mehr leisten können, den Doktor anständig zu bezahlen. Denn in Belgien ist das Zuzahlungssystem noch weiter entwickelt als in Deutschland, wo es aber sicher auch noch soweit kommt. Weil die Regierungen das Land mehr oder weniger in die Pleite gewirtschaftet haben, wurden die Zuschüsse für die Krankenkassen zusammengestrichen. Damit das aber in den internationalen Statistiken nicht so auffällt, wurden nicht die Beiträge verdoppelt, sondern die Leistungen der Krankenkassen halbiert. Den Rest muß jeder selbst bezahlen. Ein kleines Leiden kostet da schnell ein paar hundert Mark, weil auch die Medikamente nur zur Hälfte erstattet werden, ein großes etwas mehr. Aber die Belgier basteln sich ihre Gerechtigkeit selbst zurecht, nur für Ausländer ist das nicht ganz so einfach, weil sie die Spielregeln nicht kennen. Für die Geburt unseres Sohnes haben wir ein paar Tausender hingelegt, vermutlich, damit Belgien den Euro schafft. Einen Teil davon haben wir uns jetzt zurückgeholt. Wie gesagt, die Apothekerin war nicht begeistert. Alois Berger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen