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■ Nebensachen aus BangkokEin schmelzendes Symbol

In Deutschland ahnt man gar nicht, wie viele Landsleute und andere Menschen in aller Welt am letzten Donnerstag damit beschäftigt waren, bei Botschaftsempfängen ihr Sektglas auf Roman Herzog zu erheben und so etwas wie „long live the President“ zu murmeln. Das kommt davon, daß wir keinen König mehr haben, und, nicht weniger entsetzlich, auch keine Königin.

Ich folgte also auch der Einladung der deutschen Botschaft in Bangkok. Zuerst ertönte die deutsche Nationalhymne, und dann sollten wir alle, wie gesagt, auf den Bundespräsidenten trinken. Danach wieder zuhören, diesmal der thailändischen Nationalhymne und dem hiesigen König zuprosten: „Long live His Majesty the King.“

Damit revanchiert sich das deutsche diplomatische Korps bei seinen Kollegen aus anderen Ländern, die sich stets wechselseitig zu ihren Nationalfeiertagen einladen. Da der thailändische König seine Thronbesteigung heuer vor fünfzig Jahren feiert, haben manche Botschafter, allerdings zum Zeichen der besonderen Wertschätzung, zuerst auf den König, dann auf ihren eigenen Staatschef anstoßen lassen.

Aber wir nicht, wenigstens einmal im Jahr sollten wir uns nicht von Königen und anderen Würdenträgern in den Hintergrund drängen lassen.

Wie aber dekoriert man einen Ballsaal in den Tropen so, daß die Würde und tiefe Bedeutung dieses jungen deutschen Feiertages keinen Schaden davonträgt? Die für das Protokoll nicht einfache Aufgabe war im feinen Bangkoker Sukothai-Hotel glänzend gelöst: An der Stirnseite hing ein erstaunlich dürrer, dafür grün (!!!) schimmernder Bundesadler, darüber in gotischen Lettern: „Tag der deutschen Einheit“. Daneben Fahnen von dezenter Größe.

Das Schönste aber: Mitten im Hotelsaal stand das Brandenburger Tor, über zwei Meter hoch, mit der Quadriga obendrauf. Alles aus geschnitzten Eisblöcken. Die Pferde und der Engel glänzten und funkelten derart, daß es eine wahre Augenweide war. Die Gäste staunten diplomatisch verhalten und freuten sich.

Und während der Botschafter seinen Toast ausbrachte, die Militärkapelle flotte Rhythmen intonierte und die Käse-Häppchen dahingingen, wurden die Flügel des Engelchens sichtbar magerer, sein Kopf immer spitzer – das Tor schmolz sachte vor sich hin wie die Euphorie der Einheit. Zur Erleichterung der Protokollbeamten blieb die Fahne bis zuletzt oben. Jutta Lietsch

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