Nazi Reinhard Spitzy aus Österreich: Vom SS-Schergen zum Fernsehstar

Reinhard Spitzy war in den 1990er Jahren ein Zeitzeugenstar. In den 50ern kehrte der Ex-SS-Mann aus Südamerika nach Österreich zurück.

Eine große Menschenmenge, die Menschen zeigen den Hitlergruß

Jubelnde Menschenmenge auf dem Wiener Heldenplatz am 15. März 1938 Foto: ÖNB-Bildarchiv/picture alliance

Der SS-Hauptsturmführer Reinhard Spitzy war in den 1990er Jahren ein Zeitzeugenstar. In deutschen und internationalen TV-Dokumentationen tauchte Spitzy (1912–2010) als gefragter Experte für alles Braune auf.

Seine Markenzeichen: österreichische Joppe, Charakterkopf und immer ein leicht spöttisches Lächeln im kantigen Gesicht. Wobei nie ganz klar war, wen er hier spöttisch anlächelte – den übereifrigen Interviewer, die faszinierten Zuschauer oder seine toten Opfer?

Karina Urbach ist Historikerin in London. Im Juli erscheint eine aktualisierte Taschenbuchausgabe ihres Buches „Hitlers heimliche Helfer. Der Adel im Dienst der Macht“.

Spitzy war ein charmantes Monster, das mit animalisch sicherem Instinkt wusste, was das Publikum wollte. Über den „Anschluss“ seiner Heimat Österreich ans „Deutsche Reich“ verkündete er: „Ich war im sechsten Wagen hinter Hitler und hatte Tränen in den Augen.“ Und auf die Frage, warum die Nazis Juden hassten: „Jeder Anwalt war Jude.“

Natürlich kannte Spitzy auch die besten Herrenwitze über das „Flitscherl“ Eva Braun. Er war immer und überall dabei gewesen. Auf das Cover seiner Memoiren setzte er einen authentischen Schnappschuss vom Münchner Abkommen 1938, bei dem er zwischen Hitler und Chamberlain als neugieriges Groupie hervorlugt.

Amoralischer Influencer

Seine Erinnerungen und die Fernsehsendungen machten ihn zum amoralischsten Influencer der 1980er und 1990er Jahre. Seine Botschaft lautete: Demokratien boten keine Lösungen, ich wurde deshalb ein illegaler Nationalsozialist in Österreich. Es war alles eine große Hetz. Leider gab es halt auch ein paar Ausrutscher.

Der größte „Ausrutscher“ war in Spitzys Augen sein erster Chef, Außenminister Joachim von Ribbentrop. Ihm sympathischere Vorgesetzte fand er dann beim Reichssicherheitshauptamt. Walter Schellenberg entsandte ihn in die Spionagehochburg Spanien, wo er mit dem SD-Mann Prinz Max Egon zu Hohenlohe-Langenburg (1897–1968) ein Dream-Team bildete.

Eine von Spitzys größten Begabungen war es, nach 1945 seine kriminellen Freunde zu Wohltätern der Menschheit zu stilisieren. Max Hohenlohe kam bei ihm besonders gut weg: „Gestützt auf seine Stellung, verzweigte internationale Verbindungen und finanzielle Unabhängigkeit, beschäftigte sich Max Hohenlohe gerne mit der Außenpolitik, wie dies seit dem Mittelalter in seiner Familie Tradition war.“

In Wirklichkeit hatte diese „Beschäftigung mit der Außenpolitik“ eine sehr finstere Seite. Generationen von Hohenlohes hatten als Fürstenberater gedient, und Max diente jetzt dem neuen Fürsten Hitler. Hinter den Kulissen agierte er besonders effektiv in der Sudetenkrise. Die Briten hielten ihn für ihren Vermittler und fanden später heraus, dass Hohenlohe aufgrund seines „verdeckten Einsatz für die Nazis“ mit dem Vorstandssitz des tschechischen Munitionsherstellers Škoda in Brünn belohnt worden war.

Nach Kriegsausbruch arbeitete Hohenlohe für Göring an Desinformationskampagnen, wechselte später zu Himmler, und am Ende versuchte er es auch noch bei den Amerikanern (die die Geldanlagen seiner schwerreichen mexikanischen Ehefrau verwalteten).

Als „innerer Widerständler“ ausgegeben

Spitzy bewunderte die Agilität seines hochadeligen Freundes und lernte viel von ihm. Gegen Kriegsende gab auch er sich als „innerer Widerständler“ aus, aber dummerweise stand er auf einer alliierten Fahndungsliste und musste untertauchen. Die katholische Kirche und sein Kumpel Hohenlohe halfen ihm 1946 aus dem Schlamassel: „Wir saßen gerade beim Pfarrer, zu Abend“, schrieb Spitzy in seinen Memoiren, „als ein Postbote ihm ein Telegramm von Max Hohenlohe aus Madrid brachte … Dies war der vereinbarte Code und hieß, ich müsse augenblicklich untertauchen.“

Spitzy bekam genug Geld zugesteckt, um die Adolf-Eichmann-Reiseroute nach Argentinien zu nehmen. Das Familienmotto Max Hohenlohes lautete „ex flammis orior“ (ich werde mich aus den Flammen erheben), und genau das schafften er und sein Freund Spitzy in den 1950er Jahren wieder.

Hohenlohe startete eine Zweitkarriere in Francos Spanien, wo er das Städtchen Marbella zu einer Jet-Set-Attraktion hypte (in der nebenbei auch Altnazis ihre Schwarzgelder wuschen). Seine Partys waren legendär, nur britische ­Foreign-Office-Beamte wurden vor ihm gewarnt. Er habe während des Krieges „eine finstere Rolle gespielt“, und man solle Kontakt mit ihm vermeiden. Andere zeigten sich milder. Sein Wikipedia-Eintrag sieht ihn bis heute als Ehrenmann. Nicht einmal seine SD-Nummer wird dort erwähnt.

Rückkehr nach Österreich

Auch Spitzy erhielt eine ausgezeichnete Presse. Da ihm Südamerika nicht zusagte, kehrte er 1957 nach Österreich zurück. Für wen er jetzt arbeitete und warum er plötzlich wieder so wohlhabend war, bleibt bis heute ungeklärt.

Dass Spitzy dann in den 1990er Jahren ein Fernsehstar werden konnte, sagt jedoch viel über die deutsche und die österreichische Nachkriegsgesellschaft aus. Vielleicht lächelte er deshalb so spöttisch in seinen Interviews. Er hatte alle ausgetrickst.

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