Naturparadies im Bauschutt: Laute Landschaften
Markus Gastl hat Tonnen von Bauschutt auf sein Grundstück gekippt und darauf ein Paradies erschaffen. Er sagt, dass Vielfalt Armut braucht.
Markus Gastl hat sich vor zwei Jahren fünfunddreißig Lastwagen voller Bauschutt auf sein Grundstück schütten lassen. Darunter eine abgerissene Scheune aus Sandstein. Bis heute dreht und wendet er Teile des Schutts, zerschlägt und schichtet ihn, schleppt und zieht ihn mit bloßen Händen an Plätze auf seinem Terrain, die er ihnen zugedacht hat. Steinwüsten, Trockenböden, aufgeschichtete Sandsteintürme, Zufallspyramiden entstehen.
In Gastls Augen ist es der Grundstein für sein Paradies. Bauschutt - einst Kultur - soll wieder Natur werden. Bevor der Bauschutt angefahren wurde, hat der Krankenpfleger ebenso viele Lastwagen voll Humus abtragen lassen. "Reichtum schafft Uniformität. Vielfalt braucht Armut", antwortet er auf die Frage, warum. Ein Auskommen mit wenig meint er - in Nischen, in Lücken, auf mageren Böden, mit Improvisation.
Gastl lebt in Beyerberg, einem 400-Menschen-Dorf in Franken. Jetzt im Frühjahr steht die Landschaft rund um die Gemeinde in saftigem, vor Kraft strotzendem Grün - versetzt nur mit Gelb von Löwenzahn, Hahnenfuß, Raps. Der Anblick erbost Markus Gastl. "Wo sind die Farben geblieben?" Das Kornblumenblau, Mohnrot, Grasnelkenpink? Das dunkle Violettblau vom Wiesensalbei, das helle Violett der Skabiosen, das Indigo vom Natternkopf? Selbst das Margeritenweiß ist verschwunden. "Nur Grün und Gelb, Grün und Gelb", sagt er mit Verachtung in der Stimme. "Diese Wiesen sind ein Armutszeugnis. Fettwiesen, hundertfünfzig Prozent überdüngt."
Er steht in so einer sattgrünen Wiese, groß, schlank, seine Augen verschattet unter der Schirmmütze, und reißt ein Blatt ab. Es ist vom Krausen Ampfer, einer Pionierpflanze, die auf nährstoffreichen Äckern mittlerweile ein alles erdrückendes Unkraut ist. Er nennt ihn "krauseligen Ampfer". Wo der sei, werde alles andere erstickt. Für die Agrowirtschaft sei das egal. An einem Tag gemäht, landet das Grün sofort im Silo, wird vergoren oder zu Sprit verarbeitet. Was an Kleinlebewesen da noch drin ist, hat keine Chance, meint er. "Wir verheizen unsere Natur, verbrennen sie im Tank."
Keine Uniformität
Viel ist schon weg. Wer es nicht glaubt, soll sich in eine Wiese stellen und hören: nichts. Die Landschaft ist still geworden. Jemand muss es sagen, damit man es merkt. Weil gar nicht mehr erwartet wird, dass eine Wiese nicht nur fürs Auge, sondern auch für die Ohren sein soll, ist der Verlust schon als Fakt ins kollektive Bewusstsein eingegangen. Geräusche kommen von der Straße. Dort fahren Autos vorbei. Darüber der Himmel. Die Wolken.
Dieser Text aus dem sonntaz-Spezial "Wo grünes Wachstum greift" und viele andere spannende Geschichten lesen Sie in der sonntaz vom 11. und 12. & 13. Juni 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz an ihrem Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Auf Gastls Grundstück ist es anders: Im ersten Augenblick wirken seine sechstausend Bauschuttquadratmetern wie eine wilde, stillgelegte Kiesgrube. Die von der Sonne aufgeladenen Steine bringen die Luft zum Flirren. Wer sich indes auf die Einfachheit einlässt, findet die Wunder, die zwischen den Steinen sprießen: krautige Pflanzen, manche wild blühend, andere ganz zart. Und er sieht die Tiere, die sie umschwirren: Schwebfliegen, Wildbienen, Schmetterlinge von längst vergessener Schönheit.
Obwohl ein kleiner Flecken, fehlt jede Uniformität in Gastls Stückchen Natur. Mal liegen Holzhaufen im Weg, mal ein Schutthügel, mal ist der Boden sandig, dann wieder steinig, dann wieder fest. Mal ist eine Stelle dicht bewachsen und daneben kahl, mal ist es stachlig, mal weich, mal hart, glatt, trocken, nass. "Ich bin dagegen, dass alles eben, dass alles gleich ist", sagt Gastl. Jedes Insekt braucht eigene Nahrungs- und Wirtspflanzen, Schutz- und Fortpflanzungsbedingungen. Wildblumensamen hat er ausgesät, über 25.000 Blumenzwiebeln vergraben. So deckt er den Tieren auf seinem Grundstück den Tisch.
Es braucht nicht viel, um Natur explodieren zu lassen. Auch im Kopf. Denn plötzlich ist er da, der Ton: Kann sein, nur leise am Anfang, wenn das Sirren, Brummen, Summen, Surren, Knistern erst langsam wieder wahrgenommen wird. Obwohl Gastls Paradies noch gar nicht fertig ist, werden Pflanzen, die von den fetten Wiesen verdrängt sind, hier aber wieder wachsen, von Insekten umschwirrt. Als hätten die Tiere es sich zugerufen: Da drüben, da gibt es etwas für uns. Schwalbenschwanz, Ameisenlöwe, Sandwespe - alles schon da.
Die Sandwespe, vom Körper her fast eine Libelle, mit rotem schlankem Hinterteil hat sich Gastl zu seinem Leitmotiv erkoren: "Ich mach was für Insekten", sagt er. Über eine Million Kerbtierarten sind bekannt. Es wird vermutet, dass es weit mehr gibt. "In den nächsten Jahren wird es ein gewaltiges Artensterben geben. Vor allem bei den Insekten." Kaum jemand werde es merken, wenn eine große Zahl von ihnen verschwindet. Kaum jemand werde wachgerüttelt dadurch. Denn wenige sind so spektakulär wie der Hirschkäfer, so oft besungen wie der Maikäfer. Keine Naturschutzorganisation wird Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie sich für Spinnen und Ameisen einsetzt. Oder gar für Wespen.
Gastl hat einen Hang zum Dozieren. Es liegt am fränkischen Sprachduktus, er kann nichts dafür. Alle Kraft wird in den Anfang der Sätze geworfen. Zudem liegt es wohl daran, dass Gastl sieben Jahre lang mit dem Fahrrad um die Welt gereist ist. Das hat ihn wortkarg gemacht. Wo Reden aber Überwindung fordert, stimmt die Betonung oft nicht.
Nach seiner Zwischenprüfung in Geologie hatte Gastl, damals Student, zum Professor gesagt, dass er über Sachen Prüfungen schreibe, die er noch nie gesehen habe: Urwälder, Gletscher, Wüsten. Der Professor schickte ihn auf ein Auslandssemester. So begann die Zeit, in der er mit dem Fahrrad um die Welt fuhr. Obwohl ihn Lisa, seine Frau, auf vielen Fahrten begleitete, war Reden das Wenigste, was es brauchte zur Verständigung. Zu Ende studiert hat er übrigens nicht.
Mit dem Fahrrad von Feuerland zum Polarkreis
Die letzte Reise der beiden ging von Ushuaia, der südlichsten Stadt auf Feuerland nach Inuvik, im Norden Kanadas. Die ganze Panamericana mit dem Fahrrad - fast 42.000 Kilometer. Zweieinhalb Jahre waren sie unterwegs. Anspruchslos und demütig werde man dabei, sagt Gastl.
42.000 Kilometer - so viel wie der Umfang der Erde auf der Höhe des Äquators etwa - denn natürlich sind die beiden nicht Luftlinie gefahren, sondern mussten über Umwege, holprige Straßen, durch Megastädte, Urwald, Wüste, durch Flüsse, brennende Wälder, über Berge, durch Schnee. "Wir haben so viel Wunderbares erlebt", sagt Gastl. "Und so viel Zerstörung." Die Erkenntnis seines Lebens: "Der Mensch ist dabei, diesen einzigartigen Planeten zugrunde zu richten." Als er am Ende seiner Reise in Inuvik in der Kirche saß, versprach er Wiedergutmachung. Wofür? Er wollte der Erde etwas zurückgeben von ihrer Schönheit. Und weil er, zwar zu keiner Kirche gehörend, doch an Bestimmung glaubt, wusste er, dass er einen Weg finden würde, sein Versprechen zu halten. Als er dann das alte Haus mit Grundstück in Beyerberg fand mit Sicht auf den Hesselberg, die höchste Erhebung in Mittelfranken, da kam auch die Idee: "Hortus Insectorum" heißt sie, Garten der Insekten. Eine Arche Noah für das Übersehene. "Für mich eine neue Weltreise. Diesmal ins Kleine."
Gastl ist ein Visionär. Er weiß, dass er nur eine Insel schafft. Und er weiß, dass Verinselung die einzige Chance ist, dass Artenvielfalt und Biodiversität gewahrt werden können, bis der Mensch Vernunft annimmt und versteht, dass er ohne intakte Natur selbst nicht überleben kann. Vom Herzen her ist er ein Optimist, deshalb will er "Verantwortung übernehmen für die Schöpfung". Weil er vom Verstand her aber ein Pessimist ist, glaubt er nicht an die Renaissance der Vernunft.
Die Beyerberger tun das ihre, um ihn in seinem Pessimismus zu bestärken. "Ich halt da nichts von", sagt der ehemalige Schreiner, der seinen kaputten Rasenmäher über die ausgestorbene Dorfstraße zum Schmied fährt. "Gastl sagt, er tue was für Blumen. Ich seh da keine." Der Schreiner hat die Wiese direkt hinter Gastls Grundstück. Es ist eine, auf der Löwenzahn und Krauser Ampfer blühen. Gastl wollte sie ihm abkaufen, um "meine Vision auf etwas mehr Land auszubreiten". Der Schreiner wollte den Acker zwar loswerden, aber nicht an ihn. Andere Leute aus der Gegend haben Gastl auch schon ihren Baumverschnitt vor das Haustor gekippt. "So viel zu Artenschutz und den Naturgärten."
Aber einer, der nichts von den anderen erwartet, kann nur weitermachen mit seinem eigenen Plan. Es ist wie die Panamericana entlangradeln und sich öffnen für die Wunder. Laubfrösche zum Beispiel. In einem seiner angelegten Teiche verstecken sie sich. Wenn sie abends ihr Gequake anfangen, das nach scheppernden Autoalarmanlagen klingt, setzt sich Gastl an den Rand und hört zu. "I love it", sagt er: "I love it."
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