: Natürlich gut?
Nicht jede leichte Erkrankung erfordert einen Arztbesuch oder den Einsatz von Medikamenten. Viele Menschen greifen zu Hausmitteln oder auch zu pflanzlichen Arzneimitteln. Dabei gilt es aber, Nutzen und Risiko gut abzuwägen
Von Cordula Rode
Ob Erkältungen, Infekte oder Verdauungsstörungen und Harnwegsinfekte – gegen jede unangenehme Erkrankung scheint ein Kraut gewachsen zu sein. Oder eben ein Hausmittel. Fast jeder kennt sie und hat sie auch schon eingesetzt. Und wenn sie vielleicht auch nicht wirken, so richten sie zumindest keinen weiteren Schaden an – so denken viele. Aber: Es ist Vorsicht geboten. Denn in einigen Fällen sind beliebte Hausmittel nicht nur wirkungslos, sondern bergen durchaus Gefahren. „Zu einigen wenigen Hausmitteln gibt es qualitativ ausreichende Studien. Die meisten Maßnahmen beruhen aber auf Erfahrungen und/oder Einzelfallberichten ohne wirkliche wissenschaftliche Belege“, erklärt Stefanie Joos, Ärztliche Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung am Universitätsklinikums Tübingen. Pharmafirmen seien nicht an Hausmitteln interessiert, da sie nicht patentierbar sind. Und für die öffentliche Forschungsförderung seien Hausmittel nicht innovativ genug. Dennoch könne man bei einigen der Methoden durchaus einen Nutzen nachweisen. So helfe Studien zufolge Honig bei Kleinkindern über einem Jahr gegen Hustenreiz, Nasenspülungen erleichterten den Schnupfen und Ingwer bekämpfe Übelkeit (zum Beispiel durch Chemotherapie ausgelöst). Positive Erfahrungen bestehen mit Quarkwickeln bei Brustentzündung und schmerzhafter Kniegelenksarthrose sowie Zwiebelsäckchen zur Linderung von Ohrenschmerzen bei Mittelohrentzündung. Doch selbst bei scheinbar völlig harmlosen Anwendungen, wie etwa einer Wärmflasche, können durchaus Gefahren drohen: „Wenn eine Wärmflasche platzt, kann es zu Verbrennungen kommen“, so die Medizinerin.
Es gebe aber auch eindeutige Kontraindikationen: Manche angeblich bewährten Hausmittel richten Schaden an. So sei es ein Mythos, dass Urin bei Insektenstichen und Wunden helfen. Auch von Essig- oder Zitronensaftspülungen bei Halsschmerzen oder Vaginalinfekten sei dringend abzuraten. Und gefährlich sei auch der Rat, bei akuten Verbrennungen Mehl, Butter oder Zahnpasta anzuwenden: „Diese Mittel verzögern die Kühlung, erschweren die Wundbeurteilung und bergen ein hohes Infektionsrisiko.“ Als erste Hilfe bei oberflächlichen Verbrennungen rät die Expertin, die Wunde mit handwarmem Leitungswasser zu kühlen und keinerlei Fremdstoffe aufzubringen. Ein weiterer gefährlicher Irrtum ist die immer noch verbreitete Ansicht, Milch helfe gegen Vergiftungen. Die Vergiftungs-Informations-Zentrale am Universitätsklinikum Freiburg weist deutlich darauf hin, dass dies sogar kontraproduktiv sei, weil der hohe Fettgehalt der Milch unter Umständen die giftige Wirkung verstärken könne. Das nutze eher dem Gift als dem Körper. Auch willentlich herbeigeführtes Erbrechen könne schlimme Folgen haben, weil dadurch ätzende Substanzen die Speiseröhre schädigen und das Gift so noch leichter in die Atemwege gelangen und dort die Lunge schädigen können.
Und wie verhält es sich mit pflanzlichen Arzneimitteln? Bedeutet „pflanzlich“ in jedem Falle harmlos? Mitnichten. Allerdings ist hier die Studienlage deutlich besser als bei den Hausmitteln. „Bei einigen Indikationen wurde die Wirksamkeit durch Studien bestätigt und diese Mittel werden auch in medizinischen Leitlinien empfohlen“, erklärt Joos. So helfe zu Beispiel Johanniskraut nachgewiesenermaßen gegen leichte bis mittelschwere Depressionen, Ginkgo könne leichte bis mittelschwere Demenz etwas bessern und Rosskastanie erleichtere Beschwerden (Spannungsgefühl, Ödeme) durch chronisch-venöse Insuffizienz. Studien zufolge seien Traubensilberkerze (Cimicifuga) bei Wechseljahresbeschwerden und Cranberrys zur Prophylaxe bei rezidivierenden Harnwegsinfekten wirksam. Doch auch hier gibt es ein „Aber“: Dieses bezieht sich laut Joos in erster Linie auf unerwünschte Neben- und Wechselwirkungen, besonders bei Ginkgo und Johanniskraut. Bei anderen pflanzlichen Mitteln, wie zum Beispiel bei Schöllkraut, das gegen Verdauungsbeschwerden eingesetzt wird, ist auf schädliche Inhaltsstoffe zu achten, die in Einzelfällen die Leber nachhaltig schädigen können. Während der Schwangerschaft und in der Stillzeit ist bei pflanzlichen Arzneistoffen Vorsicht geboten, da für viele keine verlässlichen Sicherheitsdaten vorliegen. Zudem gilt es, die unterschiedlichen Qualitätsstufen bei pflanzlichen Präparaten zu beachten. Die hochwertigsten Formen sind jene, die nach dem Arzneimittelgesetz zugelassen sind – sie werden auf Wirksamkeit, Sicherheit und Reinheit geprüft. Dagegen werden traditionell pflanzliche Arzneimittel als qualitativ niedriger eingestuft – sie dürfen ohne klinische Studien zugelassen werden, wenn eine mindestens 30-jährige sichere Anwendung belegt ist. Kritisch wird es bei Nahrungsergänzungsmitteln, so die erfahrene Medizinerin: „Nahrungsergänzungsmittel unterliegen nur dem Lebensmittelrecht und weisen oft große Qualitäts- und Dosisschwankungen auf; eine Wirksamkeitsprüfung findet hier nicht statt.“ Und ganz besondere Vorsicht gelte bei Importpräparaten, etwa aus dem Internet, da diese teils mit Schadstoffen wie Quecksilber oder falschen Pflanzenbestandteilen belastet sind (zum Beispiel aus China eingeführt).
Sowohl Hausmittel als auch rezeptfreie pflanzliche Medikamente können sinnvoll unterstützend zur schulmedizinischen Behandlung eingesetzt werden. Joos' dringender Rat: „Jede zusätzliche Einnahme von pflanzlichen Mitteln bei chronischen oder ernsthaften Erkrankungen sollte dringend mit dem Arzt oder der Ärztin besprochen werden, um mögliche Wechselwirkungen und Risiken zu erkennen – natürlich ebenso bei Unsicherheit, unklarer Herkunft oder neuen, unbekannten Mitteln.“
Weitere Informationen: Die österreichische Gesundheitskasse hat in Kooperation mit der österreichischen Apothekerkammer einen Ratgeber zum sinnvollen Einsatz von Hausmittel herausgegeben, der 2023 bereits in elfter Auflage erschienen ist. Er ist online abrufbar:
http://www.gesundheitskasse.at/hausmittel > „Hausmittel für mich“
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