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Native Advertising Wenn die Konsumenten gelernt haben, Anzeigen zu ignorieren, darf Werbung nicht mehr wie Werbung aussehen. Drei Seiten über einen TrendWerben wie ein Chamäleon

Aus Berlin Mara Bierbach

Das Logo von Spiegel Online in der Browserzeile. Eine Kolumne. Ein Mann mit Brille auf dem Autorenfoto. Der Titel: Vom Glück, ein Finne zu sein. Inhaltlich geht es aber um Lottogewinne. Was auf den ersten Blick daherkommt wie ein redaktionell erstellter Text, ist eine Anzeige der westdeutschen Lotterie. Über dem Text steht „Ein Angebot von Eurojackpot“. Das Konzept nennt sich „Native Advertising”, es ist die neue Hoffnung der Werbebranche – und auch der Medienverlage.

„Native Advertising“ – übersetzt heißt das etwa Werbung im natürlichen Umfeld. Das ist Werbung, die versucht, möglichst wenig als solche erkannt zu werden. Die Idee: Wenn bekannte Internetwerbeformate wie Banner und Pop-ups kaum noch Klicks generieren, weil Nutzer gelernt haben, diese zu ignorieren, oder die klassischen Anzeigen dank Zusatzprogrammen ganz ausgeblendet werden, dann darf Werbung nicht wie Werbung aussehen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Anzeige passt sich in Form und Inhalt an ihre Umgebung an. Weil sie im besten Fall nicht mehr als Werbung erkannt wird, ist die Aufmerksamkeit, die diese Werbung generiert, höher. Das Konzept boomt.

Wenn auf Facebook zwischen den Statusmeldungen von Freunden gesponserte Posts auftauchen, dann ist dies Native Advertising. Gleiches gilt für bezahlte Beträge im Feed von Twitter, Tumblr oder Pinterest. Kontrovers diskutiert wird Native Advertising aber vor allem dann, wenn es um Werbung auf journalistischen Plattformen im Internet geht.

Die Unterhaltungsseite Buzzfeed ist besonders erfolgreich in diesem Bereich. Die Seite finanziert sich ausschließlich durch den sogenannten Branded Content, durch Videos und Artikel, die von Buzzfeed im Auftrag von Unternehmen erstellt werden. Beim deutschen Ableger der amerikanischen Seite bezahlte das Reiseunternehmen Discover America zum Beispiel für Artikel wie „19 Dinge, die du nur in den USA tun kannst und nirgendwo sonst“.

Gesponserte Empfehlungen

Auch etablierte Publikationen setzen zunehmend auf gesponserte Inhalte, um im Web Einnahmen zu generieren. In den USA haben Zeitungen wie die New York Times und das Washington Journal eigene Teams, um entsprechende Artikel für die Webseiten zu erstellen. Auch deutsche Nachrichtenseiten bauen immer mehr auf gesponserte Inhalte. Doch nicht nur die Inhalte selbst, sondern auch die Empfehlungen sind oft gesponsert.

Auf den Homepages von spiegel.de bis Handelsblatt.de, von Faz.de bis Bild.de findet sich unter jedem Artikel eine Spalte mit Empfehlungen zum Weiterlesen. Diese sind meist betitelt mit Überschriften wie „Das könnte Sie auch interessieren“ oder „Aus dem Web“.

Native Advertising

Was es ist:Werbung im redaktionellen Umfeld, die man nicht sofort erkennt. Häufig sind Anzeigen, die zwischen redaktionelle Empfehlungen eingefügt werden. Gekennzeichnet sein müssen sie aber trotzdem. Manche gehen noch weiter. So veröffentlichen Guardian und New York Times auf ihrer Homepage aufwendige und kritische Artikel, die von Werbekunden geschrieben werden. Ein Artikel über Frauengefängnisse bewirbt etwa die TV-Serie „Orange Is the New Black“.

Wer es hier macht:Die großen deutschen Verlage wie Gruner + Jahr und Axel Springer nutzen Native Advertising. Doch auch Lokalzeitungen experimentieren mit der Werbeform.

Wie es läuft:Gut. Die Investitionen in die neue Werbeform haben sich in den USA von 2012 bis 2015 verdreifacht. (ka)

Als Native Advertising bezeichnet man auch Links zu externen Seiten, die so platziert sind, dass sie nicht eindeutig als Werbung erkennbar sind. Daten zum Lese- und Klickverhalten werden gesammelt und verglichen – beispielsweise mithilfe von kleinen Computerprogrammen namens Cookies, die auf dem Nutzercomputer gespeichert werden und das Leseverhalten verfolgen. So werden den Lesern vor allem besonders beliebte Posts angezeigt und Artikel, die unter Lesern, die ähnliche Homepages gelesen haben, besonders beliebt sind. Nicht nur journalistische Inhalte, sondern auch gesponserte Seiten werden verlinkt, versehen mit dem kleinen, rechtlich vorgeschriebenen Hinweis „sponsored by“ oder „Anzeige“. Was in diesen Spalten angezeigt wird, das bestimmen nicht die Homepageanbieter selbst, sondern externe Anbieter wie das Unternehmen Plista.

Ein Besuch in der Berliner Firmenzentrale. Start-up-Kult auf zwei Etagen in Berlin-Prenzlauer Berg. Helle Büros mit Glaswänden, Großraumbüros voll mit Pflanzen, ein Fitnessraum für Mitarbeiter, ein Fahrradraum voll mit teuren Rennrädern. Kaum jemand ist hier über 40, der Altersschnitt der 150 Mitarbeiter ist 31. Man duzt sich. 2008 gründete Dominik Matyka mit zwei Kollegen Plista, nun erzählt er stolz, dass das Unternehmen expandiert: die Etage unter den Firmenräumen wird gerade renoviert, bald soll dort das internationale Team sitzen.

Farbig, aber unauffällig

Plista ist auch in Spanien, den Niederlanden, Kroatien und Slowenien tätig. 2014 wurde Plista für 30 Millionen Euro von GroupM aufgekauft, der weltweit größten Mediaagentur aus New York. Das Unternehmen bietet Programme an, die bestimmen, welche Weiterleseempfehlungen und welche Werbung dem Leser anzeigt werden. Auf den meisten deutschen Seiten sind Werbeempfehlungen optisch leicht anders gestaltet als kommerzielle Empfehlungen – sie sind oft farblich hinterlegt und in einer anderen Schriftart gehalten. Trotzdem erinnern sie optisch an redaktionelle Inhalte. Sie sind unauffällig.

„Es geht darum, neue Wege zu finden, um Werbebotschaften an den Nutzer zu bringen, ohne dass der Nutzer sofort abschaltet“, sagt Plista-Geschäftsführer Matyka. Den Markt für diese Form von Native Advertising teilen sich im deutschsprachigen Raum vor allem drei Unternehmen: Plista, die 2008 vom Verlagshaus Gruner + Jahr aufgekaufte Firma Ligatus und Outbrain mit dem Hauptsitz in New York. Diese jungen Firmen profitierten von einer Verschiebung im Werbemarkt – vom Fernsehen und Printjournalismus ins Internet, von Marktforschung zu optimierten Algorithmen. Sie übernehmen Aufgaben, die bisher meist Mediaagenturen zugefallen sind – Werbung optimiert zu platzieren – und übertragen diese auf den Onlinewerbemarkt. Plista ist unter andrem verantwortlich für Native Advertising auf Spiegel.de, Welt.de oder Express.de.

Der große Erfolg von Native Advertising zeigt das große Problem, das der Journalismus im digitalen Zeitalter hat. Es geht um das Dilemma, wie sich Onlinejournalismus finanzieren kann. Rund 60 Prozent aller Deutschen sind laut einer Umfrage von Statista vom Oktober 2014 nicht bereit, für Onlinejournalismus zu zahlen.

Kann man heutzutage keinen Onlinejournalismus mehr ohne eingestreute Werbung machen? „Wir verstehen die Frage nicht”, antwortet Carola Holtermann von der Gruner + Jahr Mediavermarktung, „natürlich kann man keinen Onlinejournalismus ohne Werbung machen.” Sie lässt wissen: „G+J bietet selbstverständlich Native-Advertising-Lösungen an und hat dieses Thema schon besetzt, bevor man derartige Werbeformate Native Advertising genannt hat”. Werbung sei schon immer eine Erlösquelle für Medienhäuser gewesen. „Das gilt für gedruckte Magazine genauso wie für digitale journalistische Angebote.”

Doch Native Advertsing bietet darüber hinaus einen großen Vorteil gegenüber der klassischen Printanzeige, sie ist dezent. „Wir lassen alle Formen von besonders belästigender Werbung auf unseren Seiten nicht zu”, sagt Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur Digitale Medien der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er meint damit Pop-ups, Layer, automatisch anlaufende Videos mit Ton. Sie stören den Lesefluss und sind bei den Nutzern verhasst. „Wir können sehr gut ohne sie leben”, sagt er. Doch „Onlinejournalismus ohne Werbung zu finanzieren ist ähnlich schwierig wie im Gedruckten“, sagt Müller von Blumencron. „Was man aber sehr wohl kann, ist, auf eine klare Trennung zwischen Werbung und Redaktion zu achten.” Anzeigen werden gekennzeichnet und vom journalistischen Teil abgesetzt, sagt er, „so wie seit Jahrzehnten auch im gedruckten Journalismus.”

Personalisiert werben

Doch es wäre zu leicht, sich angesichts von Native Advertising die guten alten Zeiten des Print zurückzuwünschen. Denn auch dort gibt es Formen der verschleierten Werbung. Das Pendant zu Native Advertisement in der Zeitung sind die sogenannten Verlagssonderveröffentlichungen – redaktionell aufgemachte Werbeanzeigen. Gesponserte Artikel in Zeitschriften und Zeitungen stehen seit Langem in der Kritik. Einen entscheidenden Unterschied zwischen der digitalen und analogen redaktionellen Aufmachung einer Werbeanzeige, die den Anschein eines redaktionellen Beitrages erwecken soll, gibt es dennoch: Native Advertising kann auf deutlich mehr Daten über den Leser zurückgreifen und auf den individuellen Nutzer zugeschnittene Anzeigen platzieren.

Die Zeitungskrise Der Erfolg von Native Adver­tising zeigt das Problem, das der Journalismus im digitalen Zeitalter hat

Plista-Geschäftsführer Matyka sieht die Zukunft der Finanzierung von Journalismus im Web in der Individualisierung der Finanzierung für den Leser. Er denkt, dass in Zukunft jeder Leser vor der Entscheidung stehen wird: Zahle ich für werbefreien Zugang zu einer Seite oder lasse ich Werbung zu? Möchte ich wenige, personalisierte Werbung und gebe dafür mein Surfverhalten preis, sagt er, oder gebe ich keine Daten frei und werde dafür mit Werbung zugekleistert?

Michaela Schröder, Online-Expertin vom Verbraucherschutzbund, findet diese Praxis nicht zwangsweise problematisch: „Grundsätzlich ist personalisierte Werbung nicht schlecht für den Verbraucher. Er bekommt eben nur das angezeigt, was ihn vermeintlich interessiert. Aber eben auch das Erfassen der Nutzerdaten für personalisierte Werbung muss transparent gemacht werden.“

Doch genau diese Transparenz ist bisher nicht zwingend gegeben. In Holland beispielsweise müssen Leser aktiv der Verwendung von Cookies zustimmen. In Deutschland dagegen ist die Rechtslage zu Cookies umstritten, weil der Bund die bestehende EU-Richtlinie dazu bisher nicht in nationales Recht umgesetzt hat.

Viele Journalisten dagegen sehen die Nähe zwischen Anzeigen und Werbung kritisch. Der Spiegel ging im letzten Jahr unter dem Titel „Die Seelenverkäufer“ hart ins Gericht mit der Affinität für Native Advertising bei den Kollegen vom Axel Springer Verlag und dem Handelsblatt. Die Redakteure bezeichneten Native Advertising als einen riskanten Tausch von Glaubwürdigkeit gegen Geld und eine „Werbeform, die im Kern auf der Verwirrung des Lesers beruht“. Medienreporter Stefan Niggemeier nahm dies zum Anlass, den Spiegel selbst für irreleitende, gesponserte Beiträge wie die Lotto-Kolumne zu kritisieren. Alle ,,Service“-Beiträge wurden daraufhin von der Webseite gelöscht. Doch auch der Spiegel kämpft mit sinkenden Anzei­generlösen im Print. Vor wenigen Tagen hat die Spiegel-Gruppe angekündigt, 15 Millionen Euro einzusparen. Die Entscheidung über die konkreten Sparmaßnahmen fallen im Herbst. Zum aktuellen Umgang mit Native Advertising möchte man sich lieber erst nach dieser Reform äußern.

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