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Nahost"In diesem Sommer gibt es keinen Krieg"

Die Spannungen zwischen Syrien und Israel wachsen. Doch bislang betreibvt Baschar Assad nur eine Strategie begrenzter Provokation, die ihm innnenpolitisch nützt, meint Schmuel Gordon

Nahostexperte Schmuel Gordon Bild: privat
Interview von Susanne Knaul

taz: Herr Gordon, die israelische Armee warnte vor einem möglichen Krieg mit Syrien noch in diesem Sommer. Halten Sie das für möglich?

Schmuel Gordon: Der Nahe Osten ist wie ein Sprengsatz. Früher oder später explodiert er. Überraschend ist nur, dass man überhaupt noch von Kriegen überrascht wird. Das Potenzial dafür ist permanent sehr hoch. Trotzdem wird es in diesem Sommer keinen Krieg mehr geben.

Will Syrien denn grundsätzlich einen Krieg?

Es gibt nicht nur ein Syrien, sondern zwei. Erstens das Syrien der herrschenden Alawiten und zum zweiten das Syrien der Sunniten, die ungefähr 85 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das ist zunächst ein religiöser Unterschied, wobei die Alawiten in den Augen der Sunniten noch weniger gelten als die Schiiten. In dem Moment, wo es Frieden mit Israel gibt und Syrien sich dem Westen gegenüber wirtschaftlich und kulturell öffnen würde, wächst die Gefahr für die Alawiten-Herrschaft. Wirtschaftliche Öffnung bedeutet zwingend eine Annäherung an die moderne Welt und Demokratie.

Ägypten und Jordanien wurden nach den Friedensabkommen mit Israel aber nicht gerade demokratischer?

Stimmt, aber wo ist Ägyptens damaliger Präsident Anwar al-Sadat heute? Er hat den Frieden mit seinem Leben bezahlt. Sicher wird es nach einem Friedensvertrag in Syrien nicht gleich zu einer westlich orientierten Demokratie kommen. Doch allein die Öffnung des Internets wird für die Sunniten den Prozess beschleunigen, die Regierung zu übernehmen.

Glauben Sie denn, dass Syrien überhaupt ohne Zustimmung des Iran einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnen kann?

Ja, Damaskus agiert nicht im Auftrag von Teheran und braucht keine Genehmigung. Das würde die Beziehungen zwischen Iran und Syrien nicht schädigen. Aber ein Friedensvertrag mit Israel wäre für Syrien eine dramatische Wende in der Außenpolitik. Grob umzeichnet würde sich Damaskus vom Terror abwenden und der westlichen Welt öffnen. Meiner Meinung ist eine solche Revolution eine Frage der Zeit, denn sie liegt im Interesse des Volkes. Andererseits wird Assads Alawiten-Regime, das andere Interessen verfolgt, dies versuchen zu verzögern.

Das heißt, Baschar Assads Verhandlungsangebote sind nicht ernstzunehmen?

Assad hat ein großes Interesse daran, den derzeitigen Zustand zu bewahren. Das bedeutet nicht, dass er es auf einen Krieg anlegt, denn ein Krieg könnte schlimm für ihn enden. Aber er wird versuchen, den Zustand der Anspannung beizubehalten. Das tut er schon seit Jahrzehnten mit Hilfe der Hisbollah im Libanon.

Assad hat Truppen an der Grenze zu Israel aufmarschieren lassen. Ist das nicht ein gefährliches Spiel?

Ein kontrolliertes Anheizen der Lage ist gut für die syrische Führung. Sie halten die Temperatur auf 92 Grad, knapp vor dem Kochen.

Wäre es für Israel nicht klug, jetzt zu einer Friedenseinigung mit Syrien zu kommen?

Für Israel ist Frieden immer gut, je früher desto besser.

Warum tun sich beide Seiten so schwer, Verhandlungen auch nur aufzunehmen?

Weil es für beide Seiten klare Vorbedingungen gibt, auch wenn das abgestritten wird. Israel will, dass sich Syrien vom Terror abwendet, sowohl was die palästinensischen Organisationen betrifft, die in Damaskus Asyl gefunden haben, als auch die Hisbollah im Libanon und Iran. Umgekehrt fordert Assad, dass schon bei Aufnahme von Verhandlungen mit Israel klar sein müsse, dass Syrien die gesamten Golanhöhen bis zur Waffenstillstandslinie vom 4. Juni 1967 zurückbekommen wird. Das ist für Israel indiskutabel. Wenn die Verhandlungen aber scheitern, kann danach eine Eskalation drohen und die Kriegsgefahr wachsen. Deshalb sollten Verhandlungen so lange wie möglich im Geheimen geführt werden, ohne Wissen der Öffentlichkeit.

Israels Premierminister Ehud Olmert hat Kontakte zu Syrien lange abgelehnt, nun aber Präsident Baschar Assad zu Verhandlungen eingeladen. Woher der plötzliche Sinneswandel?

Der Sinneswandel hat zuallererst in den USA stattgefunden, die lange Kontakte zu Syrien als Teil der "Achse des Bösen" ablehnten. Der Ton in den USA wird sanfter. US-Außenministerin Condoleeza Rice will inzwischen selbst Gespräche. Olmert interessiert dabei seine politische Zukunft. Die Veröffentlichung der Untersuchungskommission zum Libanonkrieg wird ihm sehr wahrscheinlich den Kopf kosten. Das einzige, was ihn retten könnte, wäre eine konkrete Friedensperspektive, ähnlich wie Ariel Scharon vom Korruptionsprozess verschont wurde, solange er den Abzug aus dem Gazastreifen plante.

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