Nächster NSU-Prozess: Schily gegen Özdemir
Der Ex-Innenminister und der Grünen-Chef streiten sich vor Gericht. Es geht um einen Satz in einem Vorwort – und um den Umgang mit NSU-Opfern.
Es geht vor allem um eine Frage der Ehre. Konkret streiten sich die beiden um einen Satz, im Vorwort von Özdemirs Buch „Die haben gedacht, wir waren das“ steht. Es geht darin um den NSU-Anschlag in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004. Özdemir schreibt: „Ein terroristischer Hintergrund wurde bereits einen Tag nach dem Anschlag ausgeschlossen – von keinem Geringeren als dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily.“
Der exakte Wortlaut der Schily-Äußerung bei einer Pressekonferenz in Paris war: „Die Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu.“ Nachsatz: „Aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, so dass ich eine abschließende Beurteilung dieser Ereignisse jetzt nicht vornehmen kann.“ Schily erwirkte zunächst eine einstweilige Verfügung gegen den Buchautor und reichte dann Klage ein.
Özdemir geht es im Prozess um „politische Hygiene“, wie es sein Anwalt formuliert. Vor Gericht spricht Daimagüler, selbst auch Nebenklagevertreter im NSU-Prozess, von einer „unglaublichen Wirkungsmacht“, wenn der Bundesinnenminister als oberster Zuständiger von einem kriminellen Milieu spreche. Die nachgeschobene Einschränkung sei in Wirklichkeit auch gar keine, sondern habe dem Gesagten nur eine „Scheinobjektivität“ verliehen.
Gericht regt an, sich gütlich zu einigen
Das Gericht ist bereit, Daimagülers Bewertung der Schily-Aussage teilweise zu folgen. Ohne Zweifel sei es schrecklich für die Opfer gewesen, in der öffentlichen Wahrnehmung zu Tätern gemacht worden zu sein.
Nur: Es gehe nicht um die Frage, ob Schily sich damals so hätte äußern dürfen oder nicht, sondern darum, ob die Bemerkung tatsächlich als ein Ausschluss einer terroristischen Tat zu bewerten sei. Schilys Worte sind aber nach Einschätzung des Gerichts nicht eindeutig, sondern haben nur eine Tendenz – und sind somit eben kein Ausschluss.
Özdemir-Anwalt Daimagüler
Die Anregung des Gerichts, sich gütlich zu einigen, verhallt am Ende. Allenfalls wenn sich Schily bei den Opfern des Attentats entschuldige, könne er sich vorstellen, dass Özdemir zu einem Entgegenkommen bereit sei, sagt Daimagüler.
Ihr Urteil wird die Kammer in zwei Wochen verkünden, eine Überraschung ist kaum zu erwarten. „Der Unterlassungsanspruch besteht“, sagt die Vorsitzende Richterin. Daimagüler kündigt an: „Mein Mandant wird notfalls bis vor den Bundesgerichtshof ziehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader