Nachzählung in Tempelhof-Schöneberg: Ein Flashback im Rathaus
In Schöneberg-Tempelhof fand eine öffentliche Nachzählung der Bundestagswahl statt. Das war aber nicht so dramatisch wie befürchtet oder erhofft.

Die Büste von John F. Kennedy schaut skeptisch drein, als sich der nach ihm benannte Saal am Dienstagmittag zügig füllt. Alle Plätze sind belegt, mit Pressevertreter:innen und interessierten Bürger:innen jenseits der 50. In der Mitte sind mehrere Tische zusammengeschoben, an ihnen sitzen die Mitarbeiter:innen des Teams von Janet Schütz, der Kreiswahlleiterin für Tempelhof-Schöneberg. Ein älterer Mann ruft: „Lassen wir die Suche nach der verlorenen Stimme beginnen!“
Gleich zu Beginn werden freilich die hohen Erwartungen vieler Besucher:innen gedämpft – als bekannt gegeben wird, dass es sich bei der bevorstehenden Nachzählung zur Bundestagswahl vom Sonntag um ein ganz reguläres Verfahren handelt. Am Ergebnis im Wahlkreis werde der Tag heute nichts ändern. Eine Mischung aus leichter Verunsicherung und mittelstarker Enttäuschung macht sich breit.
Die ersten Medien sind schon wieder auf dem Rückweg. Ihr großes Interesse war dem Gerücht geschuldet, die Nachzählung könne womöglich den denkbar knappen Vorsprung von 61 Stimmen des Wahlkreissiegers Moritz Heuberger (Grüne) vor dem Zweiplatzierten Jan-Marco Luczak (CDU) infrage stellen.
Die Mitarbeitenden gehen an die Arbeit: Auf dem Tisch wird eine große Kiste mit den Stimmzetteln ausgepackt. Nach und nach werden die einzelnen Pakete geöffnet und die Zettel erneut gezählt. Teile der anwesenden Öffentlichkeit kommentieren das Geschehen ungefragt, manche wollen das Unterfangen ganz aus der Nähe betrachten.
Wahlhelfer:innen können aufatmen
Alles daran löst in mir und anderen ehemaligen Wahlhelfer:innen, die am Sonntag in Schöneberg tätig waren, Flashbacks aus. Wahrscheinlich ist die Angst, dass wir etwas falsch gemacht haben könnten, die treibende Kraft, warum wir heute hier sind. Aber dann wird durchgesagt, dass es sich höchstwahrscheinlich nur um ein bis drei abweichende Stimmen handelt – und die Nummern der betroffenen Wahlkreise werden genannt. Die Erleichterung füllt akustisch den Saal, auch die Büste von JFK sieht plötzlich weniger skeptisch aus. Vielleicht lächelt sie sogar ein bisschen.
Neuauszählungen verlaufen übrigens exakt wie der normale Auszählungsprozess am Wahltag: Es werden vier Stapel angelegt, der erste für Stimmzettel mit identischer Erst- und Zweitstimme, der zweite mit abweichender Erst- und Zweitstimme, ein dritter für eindeutig ungültige Stimmzettel und ein vierter, bei dem der Wahlvorstand noch mal genau hinschauen muss. Eine Stunde später ist das Ziel erreicht: ein rechnerisch plausibles Ergebnis.
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