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Nachwuchsfilmer über Themen und Geld„Erst Seele, dann Form“

„Dicke Mädchen“ und „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“: Zwei Filme von Nachwuchsregisseuren, die man sich merken sollte. Ein Gespräch.

„Dicke Mädchen“ hatte ein Budget von 517,32 Euro. Bild: promo
Interview von David Denk

taz: Herr Pinkowski, Sie drehen gerade in Hamburg, sind nur für dieses Interview nach Berlin gekommen. Warum wollten Sie so gern dabei sein?

Heiko Pinkowski: Weil das eine herrliche Konstellation ist: Peter und ich mit den Regisseuren von zwei Filmen, in denen wir beide mitgespielt haben und die uns beiden wichtig sind.

Peter Trabner: Das müssen wir jetzt sagen.

Warum sind Ihnen die Filme wichtig?

Trabner: „Kohlhaas“ war für mich als relativer Filmneuling eine Chance, mit großartigen Kollegen zusammenzuarbeiten. Bei „Dicke Mädchen“ konnte ich als Schauspieler, wie immer bei Axel, auch dramaturgisch in die Geschichte eingreifen, sie mitgestalten.

Pinkowski: Als Schauspieler in diesen Filmen können wir uns von diesen ganzen weichgespülten Fernsehrollen erholen. Das ist ein großes Geschenk. Das Problem ist nur, dass meine Mitwirkung in diesen Filmen auch ein Geschenk ist, ich damit keinen Cent verdiene, aber ja irgendwie meine Familie ernähren muss. Studentenfilme sind kreativ unglaublich bereichernd, man muss sie sich aber auch leisten können.

First Steps

2000 von Filmbranche und Wirtschaft gegründet, gilt er als der renommierteste Preis für Abschlussfilme deutschsprachiger Filmhochschulen. Er wird heute in Berlin verliehen. 2012 wurden 218 Einreichungen akzeptiert, u. a. "Dicke Mädchen" und "Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel". Am Donnerstag laufen zwei davon in Berlin. Mehr Infos: www.firststeps.de

Aron Lehmann, geboren 1981 in Wuppertal, aufgewachsen im Nördlinger Ries (Bayern), wo auch alle seine bisherigen Filme spielen. Nach Jobs als Set-Aufnahmeleiter studierte er Regie an der HFF Potsdam. "Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel" ist sein Abschlussfilm.

Axel Ranisch, geboren 1983 in Berlin, Regiestudium an der HFF Potsdam. Nach 80 Kurzfilmen gründete er mit zwei Kommilitonen und dem Schauspieler Heiko Pinkowski die Produktionsfirma Sehr gute Filme. "Dicke Mädchen", ist sein Abschlussfilm. Ab 15. 11. im Kino!

Heiko Pinkowski, geboren 1966 in Krefeld, abgebrochenes Studium, diverse Jobs, 1995 erstes Engagement in Magdeburg, seit 2001 in Berlin als Theater-, Film- und TV-Schauspieler (u. a. "Doctors Diary, "Polizeiruf 110", "Die Friseuse").

Peter Trabner, geboren 1969 in Bückeburg, Mechanikerlehre, Bundeswehrausbilder, seit 1992 freie Theaterproduktionen in Berlin, unterrichtet Improvisation für Schauspieler und Tänzer. 2010 erster Spielfilm "Papa Gold", darauf folgte "Dicke Mädchen", dann "Kohlhaas".

„Dicke Mädchen“ hatte ein Budget von 517,32 Euro, und „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ erzählt von einer Filmproduktion, der die Finanzierung wegbricht. Welche Rolle spielt Geld für Sie?

Axel Ranisch: Mein Professor Rosa von Praunheim hat uns immer gesagt: Wenn ihr eine gute Geschichte habt und das Herz am richtigen Fleck, dann könnt ihr einen Film drehen, sofort, auch ohne Mittel. Das ist die Errungenschaft der neuen Zeit mit diesen preiswerten, einfach zu bedienenden Kameras. Man kann einfach loslegen.

So war es auch bei „Dicke Mädchen“. Nachdem ich drei Jahre lang am Drehbuch für meinen ursprünglich geplanten Diplomfilm herumgeschrieben hatte, hatte ich die Schnauze voll, wollte endlich wieder Regie führen. Also haben wir einfach angefangen, zu drehen, in der Wohnung von Omma, mit Omma in der Hauptrolle. Ein Befreiungsschlag. Ob daraus jemals ein Film werden würde, war nicht klar. Jetzt ist es mein Diplomfilm geworden, und zwar der schönste, den man überhaupt hätte machen können.

Lehmann: Wir sind aber keine Hobbyfilmer. Es ist definitiv nicht mein Ziel, dass auch bei den nächsten Filmen meine Eltern die Brötchen schmieren.

Ranisch: „Dicke Mädchen“ hätte nie im Leben jemand finanziert: Eine Liebesgeschichte zwischen zwei dicken Männern, die damit beginnt, dass der eine neben seiner dementen Mutter im Ehebett aufwacht, weil die zusammenleben.

Lehmann: Ich kann mir gut vorstellen, dass das vielleicht nicht der, aber ein Weg ist, in Zukunft Filme zu machen. Dass man sagt: Du hast dieses Budget, mach dazu einen Film. Und dass es nicht mehr andersherum ist: dass du deine über Jahre gewachsene Idee an allen Ecken und Enden kastrieren musst, um sie in ein absurdes Budget und einen lächerlichen Drehzeitraum zu pressen.

„Dicke Mädchen“ und „Kohlhaas“ sind Ihre Abschlussfilme. Wie geht es weiter?

Ranisch: Der Erfolg von „Dicke Mädchen“ hat ermöglicht, dass ich jetzt den seit langen Jahren geplanten Film endlich drehen kann, und zwar mit einer viel größeren Freiheit, als ich mir das je hätte erträumen können. Außerdem haben wir einen Kinderfilm in der Pipeline, der ist zu 90 Prozent abgedreht. Und für nächstes Jahr haben wir schon ein ganz tolles Projekt, wieder mit Peter Trabner und Heiko Pinkowski in den Hauptrollen. Auch wenn ich mir vorstellen kann, die nächsten Jahre erst mal so selbstbestimmt weiterzuarbeiten, hoffe ich doch, dass danach nicht sämtliche Redakteure und Produzenten des Landes sagen: Dem Mann kann man kein Drehbuch geben. Der kann nur Improfilm.

Lehmann: Ich mache als nächstes einen „Komödienstadl“. Der neue Redakteur beim BR gibt jungen Regisseuren die Chance, sich auszuprobieren, ein Volkstheatererlebnis für die Zuschauer zu Hause zu kreieren, ohne den Schenkelklopferhumor der letzten Jahre. Dafür werde ich ordentlich bezahlt und muss mich als bayerischer Heimatfilmer nicht mal verbiegen.

Was hat Ihnen das Regiestudium in Potsdam gebracht?

Lehmann: Das Wertvollste an der Studienzeit war, mit so vielen Kreativen auf so engem Raum zu sitzen und aufzusaugen, wie die anderen arbeiten. Und man redet natürlich unglaublich viel miteinander. Ein Freund und Kommilitone hat mir mal, fast als Kompliment, gesagt: „Also Lehmann, ein Ästhet bist du nicht.“ Stimmt – deswegen wär ich kein guter Werbefilmer. Ich mag’s laut, wild und bunt. Bei mir gilt: erst Seele, dann Form.

Ranisch: Ja, genau! Ich bin auch kein Perfektionist. Es ist mir total wurscht, ob irgendwo was unscharf ist, wenn das, was vor der Kamera passiert, gut ist.

Lehmann: Perfektionist bin ich nicht, aber ich kriege die Krise, wenn ich das Gefühl habe, jemand im Team gibt nicht sein Bestes. Ich halte viel vom Prinzip der latenten Überforderung: dass man sich immer Aufgaben stellt, an denen man fast scheitern muss.

Wie wichtig ist das Team?

Ranisch: Mir ist es ganz wichtig, Leute um mich zu haben, denen ich vertraue. Heiko und ich etwa kennen uns seit acht Jahren und haben schon mehr als zehn Filme miteinander gedreht. Wir müssen beim Dreh nicht mehr groß sprechen. Ganz oft reichen Blicke. Wir haben einander gefunden. Genauso will ich Filme machen.

Lehmann: Ich arbeite zwar auch immer wieder mit neuen Kollegen zusammen, aber ich brauche einen Grundstock von Leuten, die mir Sicherheit geben, Glück bringen wie ein Talisman. Mit meinem Tonmann Kai etwa habe ich alle meine Filme bisher gemacht.

Ranisch: Was macht denn der Kai in den nächsten zwei Monaten?

Lehmann: Ruf ihn doch mal an.

Sie teilen Ihren Tonmann?

Ranisch: Aron und ich stehen nun wirklich nicht in Konkurrenz zueinander.

Lehmann: Wir stehen zusammen.

Ranisch: Als ich Arons Erstjahresfilm an der Filmhochschule gesehen habe, dachte ich: Endlich einer, der mich versteht, der auch Geschichten mit Humor und Herz erzählt.

Pinkowski: Nach solchen Filmen spüre ich einen ungeheuren Bedarf.

Meinen Sie damit das, was im „Sehr guten Manifest“ Ihrer gemeinsam mit Axel gegründeten Produktionsfirma „Rohdiamant“ genannt wird: „kantig, charmant und extravagant“?

Pinkowski: Ja, und das Schöne ist, dass das auf vier der fünf bei First Steps nominierten Langfilme zutrifft.

Ranisch: Wer seine ersten Filme mit einem kleinen Budget macht, hat viel mehr Möglichkeiten, seine Handschrift zu entwickeln und zu etablieren. Das kann man allen Filmstudenten nur mit auf den Weg geben: Verfeuert euch nicht. Der erste Film muss nicht eine Million Euro kosten. Der Druck bei solchen Produktionen ist ungesund groß.

Am Ende von „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ steht das Kleist-Zitat: „Ein freier, denkender Mensch bleibt da nicht stehen, wo der Zufall ihn hinstößt.“ Was bedeutet Ihnen dieses Zitat?

Lehmann: Das ist das Herz des Films. Das Zitat bedeutet mir alles, und ich glaube, es bedeutet dem Kohlhaas alles, und ich finde, es sollte jungen Menschen alles bedeuten.

Allen Menschen? Oder besonders jungen Filmemachern?

Lehmann: Nein. Der Regisseur im „Kohlhaas“ ist für mich nur eine Metapher für einen Menschen mit einer Idee, die er gegen alle Widerstände umsetzen möchte.

Ranisch: Mir ist im „Kohlhaas“ ein anderes Zitat besonders wichtig. Der Lehmann sagt: „Wenn du es fühlst, ist es nicht lächerlich.“ Das finde ich für meine Filme so unglaublich wichtig, gerade auch im Zusammenhang mit „Dicke Mädchen“. Es geht um so viele Themen: Demenz, Homosexualität, dicke Menschen, Plattenbau. Du könntest das alles problematisieren, du kannst es aber auch im Leben ankommen lassen. Und wenn es da angekommen ist, wird es zur Normalität. Dann können sich die Leute hineinversetzen und mitfühlen. Und dann kann man auch ganz unaufdringlich politisch werden.

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1 Kommentar

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  • M
    Marcus

    Sehr schönes Interview - gut, dass die TAZ genau dieser Art von Filmen Raum gibt. Axel, Heiko und Aron: weiter so! Grüße von strangenough!