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Nachwahl in GroßbritannienBrexit-Partei gestoppt

In der mittelenglischen Stadt Peterborough holt Labour mit einem denkbar knappen Vorsprung einen Sitz für das Unterhaus.

Sieg für Labour: Die Siegerin in Peterborough Lisa Forbes und Parteichef Jeremy Corbyn Foto: ap

London taz | „Dieser Sieg ist bedeutsam, weil eine Politik der Hoffnung gewinnen kann“, erklärte Lisa Forbes, ehemalige Krankenpflegerin und Gewerkschaftsvertreterin. Am Donnerstag gewann sie für Labour die Nachwahl in der mittelenglischen Stadt Peterborough mit einem knappen Vorsprung von 683 Stimmen. Damit wurde der Einzug der Brexitpartei ins britische Unterhaus gerade noch einmal verhindert.

Auch Forbes Vorgängerin Fiona Onasanya, die wegen eines abgestrittenen Verkehrsdelikts zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und dann von den Bürger*innen der Stadt per Volksentscheid aus dem Amt geworfen worden war, hatte vor zwei Jahren mit nur 607 Stimmen Vorsprung gesiegt. Damals war der Zweitplazierte jedoch der konservative Stewart Jackson, der bereits zwölf Jahre lang Parlamentsabgeordneter gewesen war.

In der Brexitbastion Peterborough, in der 70 Prozent der Wahlgemeinde beim Referendum für den EU-Austritt gestimmt hatten, überraschte das jetzige Ergebnis. Diesmal kamen die Konservativen nur auf 21 Prozent der Stimmen.

Auch Besuche von Boris Johnson und Außenminister Jeremy Hunt, um den konservativen Kandidaten Paul Bristow zu unterstützen , nützten nichts. Stattdessen erreichte der Kandidat der Brexitpartei, der Millionär Mike Greene , 29 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 50 Prozent.

Bessere Finanzierung von Schulen

Forbes, die in Peterborough lebt, betonte Im Wahlkampf oft ihre Rolle als zweifache Mutter. Sie versprach, sich für eine bessere Finanzierung von Schulen vorort einzusetzten und gegen den Anstieg der Kriminalität im Stadtzentrum vorzugehen. In ihrer Dankesrede nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses bezeichnete sie ihren Sieg als Stimme gegen die Austeritätspolitik der Tories.

Parteichef Jeremy Corbyn schlug in dieselbe Kerbe. „Dieses Resultat zeigt, dass trotz der Spaltungen und des Stillstands in Sachen Brexit Labours Vorschläge für einen wirklichen Wechsel starke Unterstützung erhalten, wenn es um Themen geht, die einen direktem Einfluss auf die Leben von Menschen haben“, sagte er nach der Wahl.

Forbes räumte in der Wahlkampagne ein, dass sie 2016 für Remain gestimmt habe. Sie glaube jedoch auch an die demokratische Stimme der Mehrheit und stehe daher hinter dem Ergebnis des Referendums.

Doch ihre Wahlkampagne lief keineswegs rund. So wurde bekannt, dass sie antisemitische Posts mit Verschwörungstheorien in den sozialen Medien geteilt und gut geheißen hatte. In einer davon war die Rede von „zionistischen Sklaventreibern“, eine andere beschuldigte den Mossad und die CIA hinter Daesh zu stehen. „Ich habe diese Aneinandereihung von Posts sehr genossen“, merkte sie noch extra an.

Wissen vertiefen

Forbes entschuldigte sich zwar und versicherte, dass sie ihr Wissen über den Antisemitismus vertiefen werde. Jüdische Gruppen hielten ihre vorgebliche Ignoranz nach jahrelangen und beständig neuen Enthüllungen in der Labourpartei sowie dem Beginn einer unabhängigen Untersuchung durch die Gleichberechtigungs- und Menschenrechtsstelle Großbritanniens jedoch für unglaubwürdig.

Der knappe Sieg Labours in Peterborough ist ein Beweis dafür, dass der Versuch der Partei beide Seiten zu repräsentieren, gerade so funktionierte. Im Vergleich zu den Wahlen 2017 büßte Labour dennoch ein Minus von 17 Prozentpunkten ein.

Die Brexitpartei gab sich nach der Wahl als schlechter Verlierer. Nigel Farage machte sich kurz vor der Verkündung des Wahlergebnisses aus dem Staub, während Greene Forbes einen nach unten gestreckten Daumen zeigte. Greene sagte, er wolle sich bei der nächsten Nationalwahl wieder aufstellen lassen. Denn die Regierung „werde das Volk im Oktober erneut enttäuschen, wenn sie wieder den Brexit nicht liefern wird.“

Farage twitterte später von „einem beeindruckenden Ergebnis für eine erst acht Wochen alte Partei.“ Labour habe für den Sieg den gesamten Parteiapparat für die Nachwahl mobilisiert. Die Mehrheit spreche sich klar für den Brexit aus, sagte er der BBC. Der Guardian zitierte zudem einen Parteinsider, der die Schuld für die Niederlage der Brexit-Partei auf „pakistanische Wähler“ schob. Hätte Greene die Wahl gewonnen, wäre das der erste Sitz der Brexitpartei im Unterhaus gewesen.

Kleiner Zuwachs für die Grünen

Die proeuropäischen Liberaldemokraten konnten in Peterborough neun Prozentpunkte dazu gewinnen und erreichten am Ende 12 Prozent. Die Grünen verbesserten sich im Vergleich zu 2017 um einen Punkt und landeten bei drei Prozent der Stimmen.

Am Freitag war der letzte Tag von Theresa Mays als Parteichefin der Konservativen. Wie Peterborough wieder gezeigt hat, steckt die Partei weiterhin tief in der Krise. Zwei europafreundlichen konservativen Abgeordneten, Dominic Grieve und David Gauke, soll am Freitag Abend in ihren Ortsvereinen das Misstrauen ausgesprochen werden. Unterdessen geht der interne Kampf um die neue Parteiführung und das Amt des Premierministers weiter.

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5 Kommentare

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  • Ach ja, das noch: zum Thema 'Verschwörungstheorien' steht da "...eine andere beschuldigte den Mossad und die CIA hinter Daesh zu stehen...". Das würde ich nicht Verschwörungstheorie nennen, denn wer die Verhältnisse im Nahen Osten nach dem 'Cui bono' (Wem nützt es?) Prinzip analysiert, der wird merken, daß es manchem Staat SEHR nützlich ist, wenn andere Staaten von Terror und Bürgerkrieg zerfressen werden. Unter Verschwörungstheorie würde ich eher Dinge wie 'Reptiloiden sind unter uns' oder 'Elvis lebt' verstehen, nicht aber Zustände, die sich logisch gut erklären lassen.

    • @dodolino:

      Zunächst einmal profitieren USA und Israel null von Daesh (Islamisten vor der Haustür hat keiner Gern, besonders dann nicht wenn sie einen auslöschen wollen). Zweitens ist eine Verschwörungstheorie eine Theorie über eine vermeintliche Verschwörung. Also erstmal ein neutraler Begriff. Im Fall des Daesh gibt es zahlreiche Faktoren, die zu seiner Entstehung beigetragen haben. Der Mossad ist hier aber ebensowenig verantwortlich wie im Fall des Ibiza-Videos und dient ausschließlich als antisemitische Projektionsfläche, weil man selber sich nicht traut 'die Juden' zu sagen, dem eigenen Antisemitismus aber möglichst freien Lauf lassen will.

      • @LesMankov:

        Israel und USA profitieren sehr wohl von Daesh (=IS). Der IS sorgt für die Unruhe, die man braucht, um sich als 'starker Mann' zu profilieren. Diese Unruhe braucht man auch, um seine Waffenverkäufe zu erhöhen. Übrigens haben die Islamisten von IS/Daesh, die vor Israels Haustür in Syrien wüten, meines Wissens keine nennenswerten Anschläge auf oder in Israel verübt, das war immer Hamas.



        Ja, 'Verschwörungstheorie' sollte ein neutraler Begriff sein, aber auch hier im Umfeld der taz wird er gerne als abwertend (-> 'Hirngespinst') benutzt.



        Ich finde es aber überhaupt nicht sinnvoll, jeglichen Denkansatz auf mögliche antisemitische Haupt- oder Neben-motivation abzuklopfen, und bei schon geringer Trefferquote mit der Kanone 'antisemitisch' zurück zu ballern. Das erschwert das differenzierte Denken ungemein!



        Ich bin selber kein Antisemit, wohl aber ein Antizionist.

  • Schade, daß eines der Grundübel der britischen Demokratie, das Mehrheitswahlrecht, überhaupt nicht thematisiert wurde. Auf lokaler Ebene ist es durchaus vertretbar, eine Persönlichkeitswahl zu haben, aber auf nationaler Ebene führt sowas oft zu verkrusteten 2-Parteien Systemen. Da nutzen zB 12 Prozent für Grün garniX, denn am Ende gibt es 0 % Mandate.

  • Cool Corbyn.



    Liberal Democratic Losers...