Nachwahl in Großbritannien: Brexit-Partei gestoppt
In der mittelenglischen Stadt Peterborough holt Labour mit einem denkbar knappen Vorsprung einen Sitz für das Unterhaus.
Auch Forbes Vorgängerin Fiona Onasanya, die wegen eines abgestrittenen Verkehrsdelikts zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und dann von den Bürger*innen der Stadt per Volksentscheid aus dem Amt geworfen worden war, hatte vor zwei Jahren mit nur 607 Stimmen Vorsprung gesiegt. Damals war der Zweitplazierte jedoch der konservative Stewart Jackson, der bereits zwölf Jahre lang Parlamentsabgeordneter gewesen war.
In der Brexitbastion Peterborough, in der 70 Prozent der Wahlgemeinde beim Referendum für den EU-Austritt gestimmt hatten, überraschte das jetzige Ergebnis. Diesmal kamen die Konservativen nur auf 21 Prozent der Stimmen.
Auch Besuche von Boris Johnson und Außenminister Jeremy Hunt, um den konservativen Kandidaten Paul Bristow zu unterstützen , nützten nichts. Stattdessen erreichte der Kandidat der Brexitpartei, der Millionär Mike Greene , 29 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 50 Prozent.
Bessere Finanzierung von Schulen
Forbes, die in Peterborough lebt, betonte Im Wahlkampf oft ihre Rolle als zweifache Mutter. Sie versprach, sich für eine bessere Finanzierung von Schulen vorort einzusetzten und gegen den Anstieg der Kriminalität im Stadtzentrum vorzugehen. In ihrer Dankesrede nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses bezeichnete sie ihren Sieg als Stimme gegen die Austeritätspolitik der Tories.
Parteichef Jeremy Corbyn schlug in dieselbe Kerbe. „Dieses Resultat zeigt, dass trotz der Spaltungen und des Stillstands in Sachen Brexit Labours Vorschläge für einen wirklichen Wechsel starke Unterstützung erhalten, wenn es um Themen geht, die einen direktem Einfluss auf die Leben von Menschen haben“, sagte er nach der Wahl.
Forbes räumte in der Wahlkampagne ein, dass sie 2016 für Remain gestimmt habe. Sie glaube jedoch auch an die demokratische Stimme der Mehrheit und stehe daher hinter dem Ergebnis des Referendums.
Doch ihre Wahlkampagne lief keineswegs rund. So wurde bekannt, dass sie antisemitische Posts mit Verschwörungstheorien in den sozialen Medien geteilt und gut geheißen hatte. In einer davon war die Rede von „zionistischen Sklaventreibern“, eine andere beschuldigte den Mossad und die CIA hinter Daesh zu stehen. „Ich habe diese Aneinandereihung von Posts sehr genossen“, merkte sie noch extra an.
Wissen vertiefen
Forbes entschuldigte sich zwar und versicherte, dass sie ihr Wissen über den Antisemitismus vertiefen werde. Jüdische Gruppen hielten ihre vorgebliche Ignoranz nach jahrelangen und beständig neuen Enthüllungen in der Labourpartei sowie dem Beginn einer unabhängigen Untersuchung durch die Gleichberechtigungs- und Menschenrechtsstelle Großbritanniens jedoch für unglaubwürdig.
Der knappe Sieg Labours in Peterborough ist ein Beweis dafür, dass der Versuch der Partei beide Seiten zu repräsentieren, gerade so funktionierte. Im Vergleich zu den Wahlen 2017 büßte Labour dennoch ein Minus von 17 Prozentpunkten ein.
Die Brexitpartei gab sich nach der Wahl als schlechter Verlierer. Nigel Farage machte sich kurz vor der Verkündung des Wahlergebnisses aus dem Staub, während Greene Forbes einen nach unten gestreckten Daumen zeigte. Greene sagte, er wolle sich bei der nächsten Nationalwahl wieder aufstellen lassen. Denn die Regierung „werde das Volk im Oktober erneut enttäuschen, wenn sie wieder den Brexit nicht liefern wird.“
Farage twitterte später von „einem beeindruckenden Ergebnis für eine erst acht Wochen alte Partei.“ Labour habe für den Sieg den gesamten Parteiapparat für die Nachwahl mobilisiert. Die Mehrheit spreche sich klar für den Brexit aus, sagte er der BBC. Der Guardian zitierte zudem einen Parteinsider, der die Schuld für die Niederlage der Brexit-Partei auf „pakistanische Wähler“ schob. Hätte Greene die Wahl gewonnen, wäre das der erste Sitz der Brexitpartei im Unterhaus gewesen.
Kleiner Zuwachs für die Grünen
Die proeuropäischen Liberaldemokraten konnten in Peterborough neun Prozentpunkte dazu gewinnen und erreichten am Ende 12 Prozent. Die Grünen verbesserten sich im Vergleich zu 2017 um einen Punkt und landeten bei drei Prozent der Stimmen.
Am Freitag war der letzte Tag von Theresa Mays als Parteichefin der Konservativen. Wie Peterborough wieder gezeigt hat, steckt die Partei weiterhin tief in der Krise. Zwei europafreundlichen konservativen Abgeordneten, Dominic Grieve und David Gauke, soll am Freitag Abend in ihren Ortsvereinen das Misstrauen ausgesprochen werden. Unterdessen geht der interne Kampf um die neue Parteiführung und das Amt des Premierministers weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden