: Nachteile gerecht verteilen
Früher wollten selbst die Grünen die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Davon reden sie heute nicht mehr. Zu Unrecht. Sie sollten sich ihrer alten, guten Programme erinnern
Auf ihrem Weg von einer Bewegungspartei zum Regierungspartner haben sich die Grünen vielfach gehäutet. Ein Geburtsfehler blieb aber erhalten: die Wissenschaftsfeindlichkeit der frühen Jahre. Nirgendwo ist das auffälliger als in der Wirtschaftspolitik. Während der SPD in ihrer konzeptionellen Hochphase zu Zeiten der großen Koalition und der Brandt/Scheel-Regierung eine Reihe bedeutender Ökonomen zur Seite standen, findet sich heute schier niemand, der mit den Grünen in Verbindung gebracht wird. Die Frage an die Spitzen von Partei und Fraktion: Wo lassen Sie denken? Sie bleibt unbeantwortet.
Entsprechend diffus sieht die real betriebene Politik aus. Sie blinkt manchmal noch links, überholt aber nur noch rechts. Dabei war die Ausgangslage hervorragend. Am Anfang standen zwei Beobachtungen, die beide in den Wirtschaftswissenschaften von vielen geteilt werden. Erstens: Der Naturverbrauch ist vom Markt her zu wenig belastet, deshalb sind staatliche Korrekturen nötig. Zweitens: Die Löhne enthalten in Deutschland einen sehr hohen Anteil staatlicher Abgaben, was zur Arbeitslosigkeit beiträgt. Kurz, Ökosteuern sind gut für Natur und Arbeitsmarkt. Aber davon bleibt in der grünen Rhetorik zurzeit nur das Mantra übrig: Die Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden.
Verloren gegangen ist, dass eigentlich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das zweite Ziel war. Davon hört man nichts mehr. Denn das wird mit dieser Maßnahme auch nicht erreicht werden. Es lässt sich absehen, dass die geplante Entlastung der Rentenbeiträge um höchstens ein Prozent hier nichts bewirken kann. Dabei wäre es auch anders gegangen. Studierende in den Wirtschaftswissenschaften lernen früh, dass es bei Veränderungen mehr auf die Grenzkosten und nicht auf die Durchschnittskosten ankommt. Praktisch ausgedrückt: Wenn ein Unternehmen bei den Löhnen maximal ein halbes Prozent Arbeitgeberanteil Sozialversicherung einspart, wird es deswegen kaum Ausschau nach mehr Leuten halten. Wenn das Unternehmen für jede Neueinstellung aber 10 Prozent Entlastung an deren Lohnkosten erhält, dann lohnt es sich schon viel stärker und wird auch viel öfter praktiziert werden.
Deshalb muss das Anreizsystem anders geregelt werden. Etwa so: Firmen, die mehr Arbeitskräfte nachweisen als im Durchschnitt der letzten drei Jahre, wird zugesichert, dass sie für diese neuen Leute fünf Jahre lang ein Zehntel der Lohnkosten erstattet bekommen. Bei zehn Prozent Neueinstellungen machten die Kosten für den Staat ein Prozent der Lohnsumme aus. Dieser Umfang steht durch die Ökosteuer im Bundeshaushalt zur Verfügung. Und subventioniert würden nur die wachsenden Branchen und neue Unternehmen. Das sind die, die tatsächlich mehr Arbeitsplätze als vorher anbieten und wo eine große Wahrscheinlichkeit da ist, dass hier auch wirklich zukunftsträchtige Jobs entstehen.
Nebenbei würde man damit auch noch kräftig das neue Gesetzesprojekt zum Recht auf Teilzeit unterstützen. Denn man könnte alle Arbeitskräfte berücksichtigen, die wenigstens die Hälfte der tariflichen Arbeitszeit tätig sind. Wenn eine Firma also viele Vollzeitkräfte zum Übergang auf Teilzeit überredet und dafür neue Arbeitsplätze zusätzlich schafft, handelt sie arbeitsmarktentlastend und verdient von der Regelung zu profitieren.
Gleiches Thema, zweiter Vorschlag. Die ursprüngliche grüne Bekämpfung von Arbeitslosigkeit stellte die Arbeitsumverteilung in den Mittelpunkt. Statt auf ständiges Wachstum zu setzen, sollte eine gerechtere Verteilung bestehender Arbeitsplätze Abhilfe bringen. Hat man dazu in den letzten Jahren etwas Wegweisendes vernommen? Leider Fehlanzeige. Dabei ist Arbeitsumverteilung noch immer ein richtungsweisender Ansatz, der eine originär grüne Wirtschaftspolitik wieder unverwechselbar machen könnte.
Mit einer Arbeitsumverteilung betritt man sicher politisches Dickicht. Aber ein gangbarer Weg heraus lässt sich per Anleihe bei einem anderen Feld der Wirtschaftspolitik finden. In der Geldpolitik gab es tatsächlich einmal eine große soziale Innovation: die unabhängige Zentralbank, deren zentrale Aufgabe es ist, die Inflation durch Zinsbeeinflussung niedrig zu halten. Die Sicherung des hohen Gutes Preisstabilität wurde wegen der Gefahr des politischen Missbrauchs weder der Regierung überlassen noch den voreingenommenen Kreditgebern und Kreditnehmern. Sondern es wurde einer Experteninstitution übertragen – und die Öffentlichkeit ist damit sehr zufrieden.
Analog gedacht, brauchen wir nicht auch eine unabhängige Arbeitszeitagentur? Deren zentrale Aufgabe wäre es, Arbeitslosigkeit durch das Instrument einer Arbeitszeitpolitik zu minimieren. Die Sicherung des hohen Gutes Vollbeschäftigung darf wegen der Gefahr der politischen Tatenlosigkeit weder der Regierung überlassen werden noch den wenig neutralen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Und deshalb wären Eingriffsrechte auch hier am besten einer Experteninstitution zu übertragen.
Eine Arbeitszeitpolitik sollte Elemente von Mengen- und Preissteuerung enthalten. So wie die Zentralbank Zinshöhe und Kreditumfang ansteuert, so legte auch die Arbeitszeitagentur regelmäßig ihre Vorgaben fest. In deren Zentrum stünde dabei die rechtlich verpflichtende Arbeitszeit: Bei hoher Arbeitslosigkeit läge sie unter der tariflichen Vereinbarung und würde zum Beispiel für Vollzeitkräfte 32 Wochenstunden betragen. Und zunächst nur diese müssten vom Arbeitgeber auch bezahlt werden: Normalarbeitszeit. Zur Sicherung der Flexibilität könnten dann noch jedem Unternehmen pro Beschäftigten zum Beispiel zwei weitere Stunden handelbare Mehrarbeitserlaubnisse zugeteilt werden. Dieses Extrazeitkontingent dürfte dann in den Firmen frei verteilt werden. Unternehmen mit vollen Auftragsbüchern nutzten ihr eigenes Deputat und kauften zusätzliche Erlaubnisse von denen mit schwacher Nachfrage. Schließlich könnte es für betriebliche Engpässe noch einen dritten Zeitkorridor geben. Unternehmen dürften über Normalarbeitszeit und Extrazeitkontingent hinaus weitere Stunden arbeiten lassen, hätten aber dafür ein heftiges Strafgeld an die Bundesanstalt für Arbeit zu zahlen.
Die Nachteile einer Arbeitsagentur wären gerecht verteilt. Die Unternehmen müssten mit weniger Dispositionsfreiraum auskommen. Die Arbeitnehmer hätten ein schwankenderes Einkommen. Allerdings gerade für die Beschäftigten hätte der Abbau der Arbeitslosigkeit auch erhebliche Vorteile: Sie wären nicht mehr so erpressbar mit der Angst, den Job zu verlieren, und hätten dadurch mehr tarifliche Verhandlungsmacht. Zudem dürften die Arbeitslosenbeiträge erheblich sinken. Eindeutig profitieren würden jedenfalls die Schwächsten, die Arbeitslosen.
Früher einmal waren die Grünen stolz darauf, solche Interessen zu vertreten. Und zu rein gewinnfixierten Arbeitgebern wie besitzstandswahrenden Gewerkschaften gleiche Distanz zu halten. Es ist an der Zeit, darauf zurückzukommen. GERD GRÖZINGER
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