: Nachschlag
■ „Halb so wild“ vom Musiktheater Zwei Drittel
Das WG-Leben, vornehmlich das der ökologisch bewegten Linken, wird einmal mehr auf der „Zwei Drittel“-Bühne seziert. Hans, der Älteste, träumt von den alten, bewegten Zeiten, Monika will nur das Beste und Biodynamischste für ihr Kind, und für Pit, den unermüdlich Kämpfenden, ist der eher apolitische Georg ein Dorn im Auge. Bei Aldi einzukaufen bedeutet „versuchter Totschlag“, die Bullen mag man nicht („Fuck the police“) und die WG-eigene Sprache bewegt sich schlicht vom Du zum Du („Du, ich muß mal mit dir reden, du.“).
Eines war dem „Zwei Drittel“-Ensemble, oder besser: Texter Uwe Weinzierl, offenkundig ganz egal: wir befinden uns nicht im Jahre 1982. Die Geschichten und Persiflagen sind bereits von allen Seiten, und ganz speziell von der eigenen, abgehandelt worden und diese WG-Spezies weckt höchstens noch archäologisches Interesse, da sie gemeinhin als nahezu ausgestorben gilt. Dementsprechend abgestanden sind viele der Bonmots, müde konstruiert ist die ganze Story, die nach der Einführung der Personen folgt: in das traute WG-Leben bricht neben einer neuen Mitbewohnerin auch ein lateinamerikanisches Terroristen-Pärchen ein und erklärt die WG zu Geiseln einer international geplanten Aktion. In vielen Städten Europas und Nordamerikas laufen parallele Geiselnahmen ab. Die Entführer stellen den jeweiligen Regierungen ein Ultimatum – die Dritte Welt holt sich im Kolumbus-Jahr ihr Geld zurück.
„Find' ich ja legitim. Aber warum ausgerechnet uns?“ fragt sich ein WG-Mitglied, das schließlich jahrelang auf der gleichen Seite gekämpft hat. Den Terroristen ist das egal („Wir tragen den Krieg ins Vierte Reich“), Erste Welt bleibt Erste Welt, und auch in der WG-Küche lassen sich genügend Produkte finden, die nur durch Ausbeutung ihres Volkes in die westliche Hemisphäre gelangen konnten. Anhand von Fallbeispielen erfährt die Wohngemeinschaft am eigenen Leib, was es heißt, erpreßt und ausgenommen zu werden.
„Anschauungsunterricht in Sachen Welthandel“ wirft das neue WG-Mitglied dem militanten Pärchen vor. Und genau das passiert auch auf der Bühne. Ein Zusammenhang zwischen reich und arm wird nach dem nächsten abgespult, ohne dabei eine wirklich interessante Form für die Bühne zu finden. Ein bißchen Historie, ein bißchen Provokation – aber in ihrer schulmeisterhaften Präsentation hat das den Inhalten nichts entgegenzusetzen. Zusätzlich ärgert man sich über die dargebotenen Frauenfiguren. Während die Männer in ihrer Trotteligkeit oder Borniertheit immer noch witzig überzogen sind (besonders trocken und komisch das gut eingespielte Duo Robert Munzinger und Christoph Jungmann), bleibt die wehleidige Mutter stets wehleidige Mutter und das Fotografin-Yuppie-Püppchen stets Schablone.
Da vermag auch die wirklich mitreißende Musik von Robert Munzinger und Takis Sariannidis nur wenig zu retten. Ihr und dem Gesang der Darsteller ist es zu verdanken, daß der Abend nicht vollends dem Unterricht überlassen bleibt. Anja Poschen
Noch heute und morgen, 20.30 Uhr im Cafétheater Schalotte, Behaimstraße 22, Charlottenburg.
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