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SanssouciNachschlag

■ Barbara Thalheim sang für Deutschland (Ost) in Paris

Barbara Thalheim, der Gesangs-Heroine der DDR-Nostalgie, scheint chansonierende Leichtigkeit nicht gegeben zu sein. Donnerstag abend gastierte sie im Pariser Maison Heinrich Heine, und der begeisterte Schlußapplaus war wohl hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß viele im Publikum kein Deutsch verstanden und Thalheims musikalischer Begleiter Jean Pacalet ein hervorragender Akkordeonist ist. Es hat nicht viel geholfen. Ihr neues Programm „Fremdegehen“ das nach einem fünfmonatigen Paris-Aufenthalt entstanden ist, läßt offen, was schwerer erträglich ist: die immer gleichen Hintergrund-Etüden oder die Singtexte, die vor Peinlichkeit strotzen.

Munter geht es von „Deutschland, leck mich am Arsch“ zu „Liebes Deutschland, rühr dich mal, komm in meine Schöße“. Unverschämt genug, ihre Pariserfahrungen mit einem Briefzitat des vor den Nazis geflohenen Dichters Karl Wolfskehl zu garnieren, ist „Fremdegehen“ ein Beispiel für den Geschmack abgestandenen Spreewassers an der Seine. Zu den betretenen Mienen am Grab des früheren französischen Ministerpräsidenten fällt der deutschen Musikantin die Assoziation zu den gefilmten goldenen Wasserhähnen in Wandlitz ein, verbunden mit dem warnenden Sinnspruch: „Volkes Zorn ohne Volkes Demut ist ein Dreck“. Das ist mutig und kritisch, da schüttelt sie ihr volles Haar, und das Publikum trifft ein wahrhaft bohrend' Blick. Immerhin: es gab auch Lieder über einen Bauern in der Bretagne und einen Musiklehrer in Paris – für eine Liedermacherin, die Geschichten erzählen will, wohl Minimalstandard. Aber schnell entschwebte sie wieder in Rhetorik: „deutschland zerbrochenes gesicht / dein leib ist heil deine seele ist leer / ich finde dich niemals und nimmer mehr.“ Dann bleib doch in der Schönhauser Allee und laß Paris zufrieden. Doch die Stadt wird auch die forschen Überlebenden der DDR-Singbewegung ertragen, die ihrer nationalen Identität nachsinnen: Schnell eine Gauloise in den offenen Mund, gute Wünsche und dann zurück nach Osten; Madame, es war uns ein Vergnügen. Marko Martin

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