Sanssouci: Nachschlag
■ Unter Spionen: Dia-Schau und Performance im Acud
Warum neue Bilder machen, wenn es schon so viele gibt? Der Berliner Künstler Peder Iblher arbeitet unter dem Namen Tunguska Index mit vorgefundenem Bildmaterial. In der Galerie Acud stellt er verschwommene Schwarzweißfotografien aus, auf denen ein Elektrizitätsmast in einem Wald oder eine verschneite Wiese mit einer Fabrik im Hintergrund abgebildet ist. Sie sind öde, das Ansehen kaum wert. Man ist sogar erstaunt, daß es überhaupt einmal jemanden gab, der diese Motive aufgenommen hat. Auch Iblher ist sich dieser Sinnlosigkeit bewußt: Die Fotos zeigen „die Sowjetunion der frühen 60er Jahre, festgehalten und dokumentiert in einer gewaltigen Flut banaler, oft menschenleerer und völlig nutzloser Bilder“, schreibt er im Katalog.
Offensichtlich hat Iblher sich gefragt, wie er diesen völlig unwesentlichen Bildern Bedeutung verleihen könnte. Seine Antwort: Er versammelt sie alle zu einer Geschichte. Laut Iblher sollen die obenerwähnten Fotos in den sechziger Jahren von Fahrzeugen aus aufgenommen worden sein, die die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa entwickelt hatte. Diese „Visitors“ waren insgeheim in die Sowjetunion geschickt worden. Dort sollten sie strategisch interessante Objekte fotografieren. Ein Fahrzeug schaffte es, selbst auf dem Roten Platz noch die Basilius-Kathedrale im Foto festzuhalten. Alles in allem war die Mission aber ein Fehlschlag, weil „der Zugang zu den strategisch interessanten Objekten sich als äußerst schwierig erwies“.
Die Öffentlichkeit erfuhr erst nach Glasnost etwas von diesem gescheiterten Projekt. Vor wenigen Monaten gelang es „zwei US-amerikanischen Journalisten“ (nach Watergate sind es immer wieder zwei US-amerikanische Journalisten, denen so etwas gelingt), Geheimbunker des Pentagons zu besuchen, wo über 200.000 dieser Bilder gelagert sind. Jetzt sind 53 von ihnen endlich auch für das deutsche Publikum zugänglich – in der Galerie Acud. Am letzten Sonntag abend versuchte Iblher dort im Café den Bildern mit einer Lichtbildshow plus „Live-Percussion- Begleitung“ noch mehr Bedeutung zu geben. Drei Männer begleiteten mit immer schnelleren, monotonen Rhythmen auf Trommeln und Ölfässern die leeren russischen Landschaften und verlassenen Industrieanlagen. Die Musik hatte keine allzu große Auswirkung auf die Bilder. Eher kam ein Gefühl der Befreiung, als es zu Ende war.
Tunguska zeigte am Sonntag während des Trommelns auch andere, ältere Serien, bei denen manchmal Begriffe eine Rolle spielten. In der Serie „Kaufhaus des Westens“ montierte er zum Beispiel über das Bild eines geöffneten, reich gefüllten Kühlschranks die Wörter „Friede und Freiheit“; ein paar Putzfrauen bekamen die Überschrift „Arbeit macht frei“. Die kindische Didaktik des Bedrohlichen wirkte ein bißchen langweilig.
Und trotzdem: Mit „The ,Visitor‘ Enterprise“ hat Tunguska es geschafft, einen Teil des „großen Unwesentlichen“, das die Welt nun mal ist, mit einfachen und teilweise altmodischen Mitteln erträglich zu machen. Bianca Stigter
Tunguska Index: „The ,Visitor‘ Enterprise“, bis 5. 3. in der Galerie Acud, Veteranenstraße 21, Mitte. Katalog 10 DM. Performance noch einmal am 2. 3., 21 Uhr, bei der Vernissage der Ausstellung „Schallstrahl“, Große Präsidentenstraße 10, statt.
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