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Nachschlag

■ Mit Kafka im Internet: „daneben leben“ in der Blaubühne

Single Holgi mit virtuellem Ungeziefer Foto: Thomas Aurin

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte“, da war er Käfer im virtuellen Raum, und Kafka hatte mit ihm den Cyberspace eingeweiht. Was Germanistikprofessoren abenteuerlich erscheinen mag, ist der Einstieg der Blaubühne in ihr neues Programm „daneben leben“, das nach dem Debüterfolg „schneller leben“ im Sommer 1993 jetzt im Stückwerk Premiere hatte.

Vor zwei Jahren drehte sich alles um den alltäglichen Wahn; danach verschlug es Veronika Füchtner und Sascha Lehnartz in die USA, wo sie die Kommunikation via e-mail entdeckten. Irgendwo zwischen ihren Modems erblickte „daneben leben“ das Licht des Bildschirms, und so schlittert die neue Produktion auf den Irrwegen der Datenautobahn. Doch der digitale Rahmen wird nicht ausgereizt: Trotz einiger Stroboskopblitze und Modemgeräusche will sich die Bühne nicht so recht in virtuellen Raum verwandeln, und die Internet-Idee dient oft nur als Vorwand, verschiedene schräge Gestalten unserer postmodernen Tage vorzuführen. Wenn in den Eingangsszenen noch die eine oder andere Hintergründigkeit aufflackert (Was treibt Ihre Fernbedienung, während Sie schlafen?), so beschränkt sich das Spiel um Realität und Simulation bald darauf, daß die Figuren an zwei Laptops nesteln und sich über Internet geradewegs in die Isolation kommunizieren.

Da gibt es das Girlie, das vor keiner Zote zurückscheut, oder die ravebegeisterte Techno-Tina, die zu mindestens 160 bpm über die Bühne fegt. Füchtner und Lehnartz gelingt dabei so manche Abstrusität, etwa wenn Single Holgi sich im Badezimmer vor den Spiegel stellt, weil ihm nach Gesellschaft ist. Doch kommen solche Abgründigkeiten in zu niedriger Dosis daher, als daß sie über den mitunter eintretenden Leerlauf im Text und das begrenzte Repertoire an Gestik und Mimik hinwegtäuschen könnten. Schade auch, daß Dominic Sargent an Klavier und Synthesizer in der ersten Hälfte kaum zum Zuge kommt.

Dennoch: Wenn Füchtner als Seventies-Diva mit rotleuchtenden Herzen im Haar und glitzerndem Augenaufschlag ihre Cyberspace-Hymne schmettert, ist das Publikum begeistert, und Lehnartz hat die Lacher auf seiner Seite, wenn er – in Hand- und Fußschellen – als Masochist über die Bühne stolpert. Das hat zwar mit den Irrwegen der digitalen Kommunikation nicht mehr allzuviel zu tun, führt aber immerhin zu Gregor Samsa zurück: Die mitsamt den Schlüsseln entschwundene Domina ist eine Art moderne Variante von Sacher-Masochs „Venus im Pelz“, und deren Bild schmückt schließlich das Zimmer von Kafkas virtuellem Ungeziefer. Cristina Nord

Blaubühne mit „daneben leben“: Bis 13. 8., Do.–So., 20.30 Uhr, Jugendbühne Stückwerk, Rungestraße 20, Mitte

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