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■ NachschlagWindsausen und Sandknirschen: „Schweigende Landschaft“, ein interessant-verwegener Abend von Ronald Steckel im Hebbel-Theater

„Ich hatte es mir anders vorgestellt, aber es ist auch so schön“ – wird die alte Frau in einer holländischen Klinik zitiert, nachdem ihr Mann die Sterbehilfespritze bekommen hat.

Um Tod und Sterben, um Klügerwerden und Verzweifeln am Leben, um Erleuchtung und Vergänglichkeit ging es drei Abende lang im Hebbel-Theater unter dem Titel „Schweigende Landschaft. Ein Ritus“. Der Regisseur Ronald Steckel, auch Theatermusiker und offensichtlich ein sehr spiritueller Mann, hat mit Studenten, Absolventen und einer Dozentin der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ einen interessanten, verwegenen Abend erarbeitet. Verwegen in seiner ausladenden Großzügigkeit, zu konfrontieren mit einer Mischung aus Philosophievorlesung, Predigt, Tanzen, Schweigehaltungen und spielerischen Dialogen: „Ich habe kein gewisses Wissen mehr, ich bezweifle selbst meine Zweifel.“

Ronald Steckel hat sich der „Konferenz der Vögel“ angenommen, einer allegorischen Erzählung des persischen Sufi-Dichters Farid ud-Din Attar aus dem 12. Jahrhundert, in dem in sieben Abschnitten vom „Tal der Suche“ schließlich das „Tal der Armut“ erreicht wird, beides Stufen des Bewußtseins. Dazu wurden fast 2.000 Jahre alte Texte taoistischer Dichter gemischt. „MusikTheater“ nennt Steckel dabei die Gesamtheit seiner Komposition aus instrumentalen und elektronischen Elementen, aus Windsausen und knallenden, wandernden Tropfengeräuschen, Sandknirschen und Klaviermusik, zu der die Sprache als musikalisches Element hinzugefügt wird.

Sieben „Menschenähnliche“ und drei „Unberechenbare“ sprechen über die Liebe, das Sterben, die Pflicht, über Verwirrung und darüber, wie der Affe zum Menschen wurde und was die beiden eigentlich unterscheidet, sie zitieren Goethe über den Wandel von Göttern zu Begriffen, sie erzählen sich gegenseitig vom Pneuma, von der „Litanei der Finsternis“: „Ist es endlich Zeit, dem, was uns abstößt und zutiefst demütigt, entgegenzuwirken?“

Die Provokation ist klar. In einer Theaterkultur, in der Zynismus die bevorzugte Seelenhaltung zu sein scheint und ausgestellte Wirkungen alles sind, in der niemand so erfolgreich ist wie Castorfs Volksbühne mit ihrem unstillbaren Hunger nach „Enttarnung“ der Dinge, ist ein Abend über das Fragen nach Tod und Erkenntnis fast ein peinliches Programm. Was wollen wir mit unserem Leben anfangen?

Der Ausdruckstanz der zwanziger Jahre läßt grüßen, ein bißchen Steiner und Passionsspiel, aber auch bestürzende Konfrontation. Ronald Steckel ist gewissermaßen bekennerisch in seinem Schwelgen in ritualisierten Mustern: Da fallen sich die einzelnen rhythmisch (und professionell absolut souverän) in die einzelnen Silben oder Wörter, sie spielen mit der Stimme, sie ironisieren und heben die Eindeutigkeiten auf – sie sitzen still vor sich hin und: sie dehnen einzelne Szenen zum Teil so lange, daß sich Unruhe und Unverständnis im Publikum breitmacht. Das RitualSufi im Hebbel-Theater Foto: FAB der sich wiegenden Sitzenden, der kreisziehenden Arme, der in sich ruhenden Gruppe scheint sich zwischendurch selbst zu genügen, verliert den Kontakt zum Publikum, das sich, scheinbar aufgegeben, mißtrauisch abwartend zeigt.

Rituale wirken, indem man an ihnen teilnimmt. Rituale brauchen keine Zuschauer. Heikel.

Die Schauspieler sind, so jung sie sind, brillant, jedeR prägt sich ein in Gestus, körperlicher Präsenz, stimmlicher Beweglichkeit. Außerdem hat Ronald Steckel eine Entdeckung gemacht: Er hat die „sacred dances“ des Russen Gurdjieff einbezogen. Dieser hatte rituelle Tänze asiatischer Sufi-Orden in den zwanziger Jahren nach Europa gebracht. Befremdliche kollektive Bewegungen, in denen Arme und Beine gegen die organischen Haltungen zu verstoßen scheinen – eine Mischung aus ägyptischn Hieroglyphen-Positionen und Flugeinweiser-Signalsprache. Zum Teil in Zeitlupentempo, zu Beckenschlägen, Musik des Jüngsten Gerichts, in Synkopen. Wer mag, kann sich im Zuschauen hineinfallen und mitnehmen lassen.

Am lebendigsten geriet der Abend, wenn mit der Sprache, mit Haltungen, Betonungen, Sprachfarben gespielt wurde in den realen Texten. Am gefährdetsten war der Abend, wenn sich in einer gestischen Geheimsprache die Gruppe selbst genügte. Dies war insbesondere im zweiten Teil so.

Mit „Draufgängern und Schüchternen, Hochmütigen und Ängstlichen, Neidern und Zornmütigen“ hat man sprechen wollen – und am Schluß ist keine fertige Antwort da: „Wenn es ein wenig kalt wird, verwandelt sich dein Mut in einen Maulwurf – das ist ein anderes Lied und ebenfalls wahr...“

Also, kürzer hätt's sein können und ein bißchen vertrauender auf kreative Stille; aber es wäre der Inszenierung zu wünschen, daß sie sich länger so untypisch und spinnert und aufrichtig und experimentierfreudig zeigen könnte als nur diese drei Vorstellungen lang. Sabine Zurmühl

„Schweigende Landschaft – Ein Ritus“. Inszenierung von Roland Steckel. Musiktheater in Kooperation mit der Schauspielschule Ernst Busch. Informationen über eventuelle weitere Aufführungstermine unter der Rufnummer 2510144

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