piwik no script img

■ NachschlagTritt zurück im Zorn: Jugend ohne Gott zeigte eine neue Inszenierung und verläßt jetzt die Volksbühne

Nachschlag

Tritt zurück im Zorn: Jugend ohne Gott zeigte eine neue Inszenierung und verläßt jetzt die Volksbühne

„Die Volksbühne hat niemals angefangen. Und sie hätte anfangen müssen. Sie hat nur den alten, überholten Theaterbetrieb auf andere Weise weitergeschleppt und ist heute nichts weiter als ein nichtsnutziger Verschleiß von Theaterkarten.“ Mit diesem markigen Brecht-Zitat im Programmheft verabschiedete sich Jugend ohne Gott, die Jugendtheatergruppe in residence an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, am Wochenende von ihrem langjährigen Spiel- und Probeort. Der Tritt zurück im Zorn kommt nicht von ungefähr: Ramona Zimmermann und Matthias Kubusch, die Jugend ohne Gott in der Spielzeit 1992/93 aus der Taufe hoben und seitdem sieben Produktionen mit insgesamt rund vierzig jugendlichen Darstellern erarbeiteten, fühlen sich seit einiger Zeit als bloß noch geduldete blinde Passagiere im Panzerkreuzer Volksbühne. „Zuletzt kam nicht mal mehr jemand kucken“, sagt Kubusch. „Es reicht einfach nicht, wenn der leitende Dramaturg kurz vor Premierenbeginn ein paar Rosen abwirft.“ Mehr Auseinandersetzung hätte er erwartet, Widerstand, inhaltliche Diskussionen. Die Freiheit, die ihm die Theaterleitung bietet, empfindet er inzwischen als Indifferenz.

Um Indifferenz geht es denn auch in der letzten Produktion, die Jugend ohne Gott am Freitag im 3. Stock der Volksbühne vorstellte. “...für immer und immer...“ ist ein Familienweihnachtshorror in guter alter Jarry- oder Vitrac-Tradition: Vater, Mutter, Sohn und Tochter streiten sich um den Weihnachtsbaumschmuck, der Besuch kommt wie immer zu spät und wird zur Strafe am Kleiderbügel in die Garderobe gehängt, der Nachbar vergreift sich an der Tochter, während der Sohn deren Plüschtier massakriert. Dabei wirkt die Jugend- ohne-Gott-Familie seltsam unzentriert; die ständige Aggression verläuft ins Leere, bleibt folgenlos. Diese Familie nämlich kommuniziert ausschließlich mit Fragen und Gegenfragen. Ratlosigkeit und Standpunktlosigkeit sind der Kontrapunkt ihrer Streitereien.

Wieder gelingt es dem 30jährigen Matthias Kubusch, seine jungen Darsteller zu einer Spielweise zu bewegen, die gerade artifiziell genug ist, um sich von den scheinbar authentischen Posen abzuheben, mit denen rebellische Jugendlichkeit im realistischen Theater gern daherkommt, und doch wieder nicht so artifiziell, daß sie etwa distanziert und gewollt kunstvoll wirkte. Sein Talent, aus mehr oder minder begabten Laien für die Dauer einer Produktion veritable Schauspieler zu formen, wird er jetzt verstärkt bei der Gruppe SchauHaus einsetzen. Ob und wie es mit Jugend ohne Gott nach dem Abschied von der Volksbühne noch weitergeht, das, so sagt er, „hängt jetzt von den Kindern ab“. Michael Mans

Vorschlag

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen