■ Nachschlag: Der längste Laufsteg der Welt
Wenn die Stadt keinen eigenen großen Designer zu bieten hat und die Berliner ohnehin viel lieber Kaufhof statt Chanel tragen, dann hilft nur noch das Spektakel. „Berlin soll wieder Modehauptstadt werden“, das wünscht sich zumindest der Modehändler Claus Pohland vom Mode-Center Berlin. Mit seiner Defilée-Strecke von 1.001 Metern wurde der Ku'damm am Samstag, wenn nicht zum schönsten, so doch zum „längsten Laufsteg der Welt“ gekürt, mehr als 60 Designer und die fünf großen Modeschulen Berlins präsentierten mit 820 Models rund 1.500 Outfits. Auch wenn Sander, Lagerfeld, Joop oder die Westwood ihre Teilnahme versagten, konnten die Veranstalter immerhin den Altmodezar Paco Rabanne in die Pflicht nehmen.
Unter anderem stolzierten Fußballspieler-Anzüge von Armani über den Laufsteg sowie Elegantes von Max Mara, die Sekretärinnen-Outfits von Blacky Dress und ganz besonders Fades im Schlangenlederprint von Trussardi. Doch die Beiträge einiger jüngerer Designer brachten schließlich Farbe ins Geschehen, wie die schillernden Drag Queens, die in den Stücken von K.YO/Fishbelly oder Pfefferkorn steckten. Die Kunsthochschule Weißensee präsentierte viel nackte Haut und pobetonte Linien in Weiß. „Ist das nicht verrückt?“ Der Kommentator der Schau, der so etwas vorher wohl noch nie gemacht hatte, konnte sich gar nicht beruhigen. „Berlin – Modehauptstadt der Welt! Heute vom längsten Laufsteg der Welt! – Ein Satz, der an jenem Abend noch mindestens hundertmal fallen sollte.
Großen Unterhaltungswert hatten indes die Models, die spätestens während ihrer zweiten Runde im Clinch mit den Pfennigabsätzen ihrer Stöckelschuhe lagen. „Da wird der Schuh zum Accessoire“, hat der Kommentator denn auch klar erkannt, und das ziemlich unelegante Publikum begann sich zu amüsieren.
Und ganz am Schluß, als die Musik ein bißchen gedämpft wurde, hörte man schließlich die Metallarbeiten Paco Rabannes schon von weitem über den Catwalk rasseln.
Die Stimmung unter den 100.000 Zuschauern war bombig, was nach den anderen Großveranstaltungen zum Nulltarif kaum anders zu erwarten war. Aber am Ende ertönte Volkes Stimme: „Aber kaufen tun wir bei Woolworth!“ Kirsten Niemann
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