■ Nachschlag: Zum Piepen: Das Beste aus 13 Jahren Scheinbar-Varieté
Ein schwarzgekleideter Bursche betritt die Bühne und zeigt auf einen pinkfarbenen, mittelkleinen Ball: „Meine Damen und Heren, wos iescht dos? Gebrauchen Sie ihre Fontasie!“ fragt er mit fürchterlichstem französischen Akzent. Natürlich handelt es sich hier nicht etwa um einen mittelkleinen pinkfarbenen Ball, sondern um das schöne, junge Fotomodell, das von einem Exhibitionisten belästigt, aber schlußendlich von Superman gerettet wird. Der falsche Franzose, der sich bald als Jongleur entpuppt, erzählt die Geschichte mit verteilten Rollen und zwei weiteren Bällen, ohne sich jemals in seinem Akzent zu verheddern. Eine völlig simple Nummer eigentlich, aber einfach zum Piepen und zudem eine der ersten, die im Scheinbar-Varieté je gezeigt wurden.
Unverkrampfter, lakonischer Humor, ohne aufgesetzte literarische oder gar künstlerische Ambitionen ist geradezu typisch für das Programm im Scheinbar-Varieté, das mit seinen eng gequetschten 50 bis 60 Sitzplätzen übrigens das wohl kleinste Theater Berlins ist. An mancher Stelle merkt der Zuschauer – der in der Regel Stammgast ist – oft erst hinterher, was zum Programm gehört oder was einfach nur Fake ist. Besonders herrlich bei der letzten Vorstellung am vergangenen Sonntag die Moderation des Conférenciers Michael Genähr, der es einfach liebt, stundenlang auf der Bühne zu stehen und dummes Zeug zu labern. Oder die Stepinskis, zwei geradezu wollustig zu Volks- oder Westernmusik steppende Frauen, die auch dann schon komisch sind, wenn sie einfach nur dastehen und nichts machen. Oder der „Erfinder Alexander“, wie er von seiner eindrucksvollen Begegnung mit einer Eintagsfliege erzählt.
„Hoch die Tassen – 13 Jahre Scheinbar“ heißt das derzeitige Programm des Varietés, das 1984 ursprünglich als Talentschmiede von einigen Schülern der „Etage“ (der Berliner Schule für Darstellende Künste) gegründet wurde. Ein krummeres Jubiläum mag es kaum geben, doch zumindest zeugt es von dem schier unerschöpflichen Programmvorrat, der heute wie damals die Lachtränen in die Augen treibt: „Hoch die Tassen“ läuft jeweils an den Wochenenden bis zum 1. Februar. Das Programm wird jeden Tag anders sein, weshalb sich ein mehrfacher Besuch des Best-of-Programms lohnt. Kleiner Tip: Am kommendem Wochenende wird Detlev Winterberg erwartet, übrigens einer der besten Kung-Fu-Film-Plot-Nacherzähler der Welt. Kirsten Niemann
„Hoch die Tassen“, bis 1.2., 20.30 Uhr, in der Scheinbar, Monumentenstr. 9, Schöneberg
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen