■ Nachschlag: Schreiende Finnen-Chöre und Island-Psychedelika im HdKdW
Dirigent Petri Sirviö fixiert sein Publikum mit drohendem Blick: „The next number is a children's song of sweden.“ Gelächter im Saal. Denn der Männerchor „mieskuoro huutajat“ hat nichts weniger im Sinn als nette Lieder. Gnadenlos schleudern die 30 Männer unisono Sätze in die Menge, bellen und schreien im rhythmischen Fugato. Übrig bleiben Worte, zuletzt nur Laute – Destruktion als Prinzip.
Der mit grimmigem Ernst skandierende „Chor der schreienden Männer“ war ein denkbar schrulliger Auftakt für das diesjährige Festival „Urban + Aboriginal: Polar“, das sich der Musik des arktischen Raumes widmet. Einer Tradition also, die im mitteleuropäischen Bewußtsein wenig Platz hat. Doch das nordfinnische Ensemble gab sich im Haus der Kulturen der Welt selbstbewußt polyglott. Was ihrem nicht gerade zimperlichen Reduktionsverfahren vor allem anheimfiel, waren Nationalhymnen aller Länder, bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Da der Chor sich dabei wenig um die vielfältigen Möglichkeiten sprachmusikalischer Darstellung kümmerte, wurden die Hymnen zur immer gleichen Lautäußerung, auf ihre militanten und rustikalen Wurzeln reduziert.
Wiederholung als ästhetische Erfahrung dann auch im gemütlichen Teil des Abends: Im abgedunkelten Café Global experimentierte das isländische Duo „Reptilicus“ zwischen psychedelischem Pop, zuckenden Technoblitzen und virtuosen Jazzeinsprengseln, während eine Endlosfilmschleife immer gleiche Gesichter zeigte: nordische Weite zu angenehm lakonischer Länge gedehnt.
Beide Veranstaltungen, so abgefahren und professionell sie auch waren, täuschen indessen nicht darüber hinweg, wie stark das Festival derzeit finanziell gebeutelt ist. Auf zwei Abende ist das Programm in diesem Jahr zusammengeschnurrt – angesichts eines riesigen Nachholbedarfs ist das sehr zu bedauern. Die letzte Gelegenheit, das mitteleuropäische Bewußtsein in Richtung Arktis zu erweitern, besteht daher nur noch heute Abend. Christine Hohmeyer
Shamans Journey North: ein schamanistisches Ritual mit Asa Simma, Norman Charles und Charlie Morrow. Heute, 20.30 Uhr, Podewil, Klosterstr. 68-70, Mitte
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen