■ Nachschlag: Theater R.A.T. spielt Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“
Manche Klötze am Bein läßt man ein Leben lang dort hängen. John Steinbeck macht es in seinem Roman „Von Mäusen und Menschen“ vor: George, recht ausgefuchst, hat sich Lennie, muskelstark, aber geistig schwach, als Partner ausgesucht. Beide jobben als Erntehelfer in Kalifornien. Während George das Leben regelt, bringt Lennie durch seine klobigen Hände aus Versehen allerhand Getier um. Weil ihm seine unkontrollierte Kraft einige Male ausrutscht, bekommen beide Ärger und müssen schneller weiter, als ihnen lieb ist. Eine Haßliebe, ein Zweiergespann, das scheinbar nicht zusammenpaßt, aber der Illusion nachjagt, irgendwann ein Stückchen Erde mit Gemüsegarten zu besitzen.
Das Theater R.A.T. bringt derzeit das Stück nach Steinbeck auf die Bühne. Die Besetzung ist durch die Bank geglückt. George, der schmale Lebenskenner mit Hosenträger (sehr überzeugend: Olf Grund), führt gern die Vergeßlichkeit seiner nervigen Klette vor und läßt gleichzeitig seine Liebe zu ihm durchschimmern: Schließlich ist der Dumme seine Stärkung, „Red Bull“ fürs eigene Selbstbewußtsein. Lennie behält nichts im Kopf und soll einfach sein Maul halten (passend, vom Käppie bis zum Plateauturnschuh: Oliver Jaksch). Und da ist Candy (Reimund Groß), der ebenfalls jemanden liebt, der ihn braucht: einen nutzlosen, stinkenden Scheißhund – auf der Bühne wird ein Schaukelköter als Hundeersatz benutzt. Dessen schlimmes Schicksal läßt ahnen, was auch aus dem kalifornischen Dreamteam wird.
Obwohl als Western-Blues angekündigt, verzichten Dirk Steinmann (Regie) und Herwig Engelmann (Dramaturgie) auf Marlboro-Tour-Kitsch und legen vielmehr Gewicht auf die Kameradschaft der Underdogs, der Wanderarbeiter, die ohne Rast und Ruh umherziehen und doch gerne irgendwo ankommen möchten. Gekonntes Spielen mit der Spannung. Und Sparsamkeit auch beim Bühnenbild von Donald Becker: Kein Saloon-Barock nirgends, sondern etwas Baumrinde, eine Wanne mit Wasser, etwas Stroh. Ein dezenter Umgang mit Licht, das die freie Natur, die Scheune, das Zimmer andeutet. Ein weiter Sternenhimmel voller Hoffnung und einige Wecker an der Wand, die die Zeit bis zum großen finalen Knall im Nu vergehen lassen. Die Heimatlosen in dem Stück sind große Babys oder Träumer an der Mundorgel und an der Gitarre. Die Ideen im Schädel werden nie Wirklichkeit, und die Wunsch-Cowboys sind abhängig voneinander, mehr, als ihnen zwischen Staub und Kornsäcken klar ist. Michael Neubauer
Weitere Aufführungen: heute und 12.–17.8., 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Str. 16, Platz der Luftbrücke
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