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NachrufDie Aufmüpfige

■ Alisa Fuss, Präsidentin der Liga für Menschenrechte, ist 78jährig gestorben

Berlin (taz) – Kämpferisch, wie sie war, hatte sie bis zuletzt auch gegen die Krankheit in ihrem Körper gekämpft: Krebs. Als sie das Ende nahen fühlte, flog sie zu ihren Söhnen nach Tel Aviv. Dort starb Alisa Fuss, Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte seit 1989, am Donnerstag im Alter von 78 Jahren.

Geboren wurde sie 1919 in Berlin als Tochter einer liberalen jüdischen Familie. Schon als Kind fiel sie durch Aufsässigkeit auf: „Ich wollte immer mit dem Kopf durch die Wand.“

Foto: Rolf Schulten

Als den Nazis die Macht übergeben wurde, schloß sich die 14jährige der zionistischen Jugendbewegung an. Mit 16 schon sehr selbständig, entzog sie sich dem Naziterror durch Auswanderung nach Palästina. Ihre Eltern flohen nach Südamerika, aber ihr Schiff sollte zuerst nicht festmachen dürfen: Verzweifelte Frauen sprangen mit ihren Kindern ins Wasser. „Ich selbst bin Flüchtling, meine Familie sind Flüchtlinge, die Eltern meines Mannes sind in Auschwitz umgekommen. Ich denke, man tut dann, was man kann, fertig“, erklärte sie später trocken auf die Frage, was sie zu ihrem Engagement für Asylbewerber bewegt habe.

In Palästina angekommen, begeisterte sie sich für die Kibbuz-Bewegung: „Wir glaubten, wir bauen jetzt den Sozialismus auf.“ Daß es keinerlei Privatbesitz gab, nicht mal Strümpfe, machte ihr nichts aus: Auf Äußerlichkeiten kam es ihr nie an. Als aber die paramilitärische Organisation Hagana Präventivangriffe auf arabische Dörfer verlangte, wollte die glühende Pazifistin nicht mehr mitmachen. Sie ging nach Jerusalem, heiratete, bekam drei Söhne, wurde Sonderschullehrerin für verhaltensgestörte Kinder.

Die Schwierigen und Aufmüpfigen haben sie stets gereizt. Nachdem ihr zweiter Mann gestorben und ihre Kinder erwachsen waren, kehrte sie nach 41 Jahren in Israel nach Deutschland zurück. Eigentlich nur, um ein Jahr lang in einer Versuchsschule des Reformpädagogen Hartmut von Hentig zu arbeiten. Und dann blieb sie doch ganz. Nicht aus Nostalgie, ach was: „Ich habe überhaupt keine Heimat und lebe damit ganz gut.“

Ausgestattet mit einer kleinen Rente, schloß sie sich mit 61 Jahren in Berlin der Internationalen Liga für Menschenrechte an, jener 1914 gegründeten Organisation, der schon Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky und Albert Einstein angehörten. Als der Kurde Kemal Cemal Altun 1982 abgeschoben werden sollte, kettete sie sich am Gericht an. Als der Golfkrieg begann, organisierte sie die „Aktion Atempause“: Jüdinnen und Araberinnen aus Israel sollten in Berlin einen Platz zum Erholen finden können, „weil ich weiß, wie schrecklich es ist, einem Kind eine Gasmaske überstülpen zu müssen“. Und als die Pogrome in Hoyerswerda losgingen, war sie eine der ersten, die schützend vor Asylbewerberheimen standen. Das Bundesverdienstkreuz, das ihr dafür verliehen wurde, gab sie später aus Protest gegen das neue Asylgesetz zurück. Ihre kämpferische Art werden viele vermissen. Ute Scheub

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