Nachruf für Hermann Nitsch: Erst Störung, dann Ehrung
Farbe verschwenden und Blut verspritzen gehörte zur Aktionskunst des österreichischen Künstlers Hermann Nitsch. Nun ist er gestorben.
Die Neuauflage des Orgien-Mysterien-Theaters, geplant für kommenden Juli, wird wohl nicht mehr stattfinden. Letztes Jahr wurde das Gesamtkunstwerk coronabedingt abgesagt. Dieses Jahr ist Hermann Nitsch nicht mehr da.
Das dionysische Opferspektakel mit blutverschmierten nackten Menschen in geschlachteten Rindern, Kreuzigungsszenen und orgiastischem Wühlen in Eingeweiden – 1998 über sechs Tage zelebriert – hat Nitsch einst berühmt gemacht und für Skandale gesorgt. Besonders mit der katholischen Kirche, aber auch mit Tierschützern und der Justiz hat er sich angelegt. Dabei wollte der 1938, kurz nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland, in Wien geborene Künstler ursprünglich Kirchenmaler werden.
„Die Aktionsmalerei ist quasi die erste Stufe – ursprünglich wie auch heute. Damals ging es mir eher ausschließlich um die Substanz, die Materie der Farben. Ich wollte im Farbschleim wühlen, Farbe verschwenden, verschmieren, verspritzen“, erklärte er einer kleinen Gruppe von Kunstkritikern und Presseleuten, die er im Sommer 2020 in sein Museum in Mistelbach und seinen Landsitz Prinzendorf im niederösterreichischen Weinviertel eingeladen hatte.
Einladung in die USA
Erste internationale Anerkennung wurde ihm schon 1966 in London zuteil. Auf den Abbruch seiner 21. Aktion durch die Polizei folgte eine Einladung in die USA. Die ideale Kulisse für seine Aktionen fand er aber im barocken Schloss Prinzendorf, in das Ehefrau Nummer 2, die deutsche Industriellentochter Beate König, auf Drängen ihres mittellosen Angetrauten ihr Erbe steckte.
50 Jahre lang war es Zentrum und Gravitationspunkt des Künstlers, der in den 1960er Jahren mit Otto Mühl nicht nur die etablierte Kunstwelt provoziert hatte und wegen Erregens öffentlichen Ärgernisses und Störung der öffentlichen Ordnung 14 Tage im Gefängnis absitzen musste.
„Bis zur Hälfte meines Lebens hab ich nichts verdient und hab von meinen Frauen gelebt“, so gestand Nitsch einmal nicht ohne Koketterie. Nach einem zehnjährigen Exil in Deutschland und dem Unfalltod seiner Frau kehrte Nitsch 1978 nach Österreich zurück. Er entwickelte seine umstrittene Schütt-Technik, für die er nicht nur Acrylfarben, sondern vor allem bei seinen Aktionen immer wieder auch Blut einsetzte.
Dass religiöse Symbole dabei oft eine Rolle spielten, trug ihm den Vorwurf der Blasphemie von der katholischen Kirche ein. „Ich habe mich immer für Religionen interessiert, habe eigentlich gleich Religionswissenschaften betrieben und nie die Absicht gehabt, eine Religion zu beleidigen oder herabzuwürdigen.“ Aber: „Ich hab halt in meinem Werk die Erotik und Sexualität religiösen Phänomenen gegenübergestellt. Das hat die halt aufgeregt.“ Längst versöhnt mit dem Klerus, hat Nitsch in seiner letzten Ausstellung Messgewänder verarbeitet und immer wieder das Kreuz als Symbol des Opfers integriert.
Auch in der Politik hatte der einst Geschmähte zuletzt nur mehr Freunde. Die Republik verlieh ihm 2005 den Großen Österreichischen Staatspreis für bildende Kunst, der konservative Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin Pröll, schenkte ihm in Mistelbach ein Museum in einer stillgelegten Fabrikhalle. Auch in Neapel gibt es ein Nitsch-Museum.
Zuletzt widmete er immer mehr Zeit der Musik, komponierte Symphonien aus Sphärenklängen, die die Aktionen begleiten. Besondere Genugtuung bereitete Nitsch vergangenen Sommer der Auftrag, bei den Bayreuther Festspielen eine konzertante Version der „Walküre“ szenisch zu begleiten. Für jeden der drei Akte hatte er eine umfangreiche Malaktion konzipiert. Seine Bilder, die im Atelier am ehemaligen Getreidespeicher von Schloss Prinzendorf entstanden, werden zu hohen fünfstelligen Beträgen gehandelt. Hermann Nitsch starb nach längerer Krankheit am Ostermontag im Spital von Mistelbach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland