Nachruf auf Peter Sodann: Schauspieler und Bücherretter
Er gründete das „neue theater“ in Halle, spielte im Tatort und bei „Gundermann“. Der warmherzige Poltergeist Peter Sodann ist 87-jährig gestorben.
Er habe mit Gott im Traum eine Verabredung getroffen, flachste der alte Kabarettist vor seinem 80. Geburtstag. „Ich möchte gern 120 Jahre alt werden, damit ich all jene begraben kann, die mich geärgert haben!“ „Dann müsstest du tausend Jahre alt werden“, habe Gott geantwortet. Entweder hielt Gott sich nicht an die Vereinbarung oder der Ärgernisse waren denn doch nicht so viele. Am vorigen Freitag verstarb der Schauspieler, Theaterleiter und Bücherretter Peter Sodann 87-jährig in Halle.
Man konnte den Peter schnell ärgern, aber er konnte es umgekehrt auch. Das wissen alle, die mit ihm privat, auf der Bühne oder am Set zu tun hatten. Auch Journalisten behandelte er gelegentlich wie einen Scheuerlappen, um sich bald darauf warmherzig zu entschuldigen und in kumpelhafte Gesten zu verfallen. Wer darauf nicht warten wollte, konnte ihn mit der Rezitation des Brecht-Gedichtes vom armen und vom reichen Mann umstimmen oder aus dem eigenen Bücherfundus eine Rarität für seine DDR-Bibliothek stiften. Dann begann sein manchmal bärbeißiges Gesicht zu leuchten.
Denn wenn ihn etwas wirklich ärgerte, waren es Ungerechtigkeit, Empathielosigkeit und der Materialismus unserer Zeit. Wie von sich selbst überrascht, konstatierte das Arbeiterkind seine spätere Annäherung an die sozialen Botschaften des christlichen Evangeliums. Jesus sei gekreuzigt worden, weil er die Banker und Wucherer aus dem Tempel gejagt habe. „Dafür wird man auch heute noch gekreuzigt“, schleuderte er dem Gesprächspartner in gewohnt apodiktischer Weise entgegen.
Für seine rigoros sozialistische Grundüberzeugung spricht, dass er in der noch stalinistisch geprägten Ulbricht-Ära ausgerechnet mit der sozialistisch genannten DDR kollidierte. Die leitete aus der Förderung von Arbeiterkindern einen Anspruch auf lebenslange Dankbarkeit und Treue gegenüber dem SED-Staat ab. Nichts für einen Sodann. Als Leiter des Leipziger Studentenkabaretts „Rat der Spötter“ wurde er 1961 wegen „staatsgefährdender Hetze“ zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Zehn Monate saß er ab, dann durfte er sich in der Produktion bewähren und sogar an der Theaterhochschule weiterstudieren.
Dieselbe DDR, die in der Gorbatschow-Zeit schon nicht mehr dieselbe war, verlieh dann dem einstigen „Hetzer“ 1986 den Nationalpreis. Die Bundesrepublik zog 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz nach, die Stadt Halle 2005 mit der Ehrenbürgerschaft. Das spricht für systemunabhängige Qualitäten Sodanns. Denn jeder wusste um dessen Sympathien für die PDS. Für sie wollte der Parteilose 2005 als sächsischer Spitzenkandidat in den Bundestag, bewarb sich 2009 sogar um das Amt des Bundespräsidenten.
Seine Qualitäten offenbarte Sodann früh auf Brettern der darstellenden Künste. Als Schauspieler ist er den meisten auch bekannt. Wenn man 1964 vom Studium weg gleich ans Berliner Ensemble engagiert wird, muss man schon etwas draufhaben. Erfurt, Karl-Marx-Stadt, Magdeburg und vor allem Halle folgten. Dort das „neue theater“ zu gründen, bedeutete auch, mit den eigenen Händen anzupacken und proletarisch-deftig zu feiern.
Zu oft wird Peter Sodann auf seinen „Tatort“-Kommissar Bruno Ehrlicher (1992–2007) verkürzt. Viel interessanter sind väterliche oder polternde Rollen, die ihn als Genossen und Funktionär zeigen. Seine Linientreue besteht eher in Zickzacklinien oder Kreisen. So etwa in „Zwei schräge Vögel“ 1989 oder in seiner letzten Rolle als Veteran in Andreas Dresens Film „Gundermann“ 2018.
Wie Don Quichote, nicht wie ein DDR-Epigone, hat Peter Sodann nach 1990 um das „Kulturgut Buch“ gekämpft, heftig aufgewühlt von Millionen Remittenden DDR-Literatur, die den Jubel über den Ausbruch der Marktwirtschaft störten. Seine DDR-Bibliothek ist heute eine Legende, fand nach langer Odyssee aber erst 2011 ein Domizil im Gut Staucha, nur wenige Kilometer von seinem sächsischen Geburtsort Meißen entfernt.
Von Landesverbänden der Linken kamen die ersten Würdigungen des Verstorbenen. Aber für sie hätte Peter Sodann schon lange nicht mehr kandidiert. Zu sehr ärgert ihn an der Partei ähnlich wie am Westen nach 1990 die Entwertung der ihn prägenden Ideale. „Ich lasse mir meine Vergangenheit nicht wegnehmen“, hatte er zu seinem 85. erklärt.
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