Nachruf auf Kazim Akboga: Er war niemals egal
Kazim Akboga war ein Mann für den leisen Humor, der gern so gut Klavier spielen wollte wie Helge Schneider. Jetzt ist er gestorben.
Kazim Akboga war nicht kokett. Er war Künstler. Mit seinem Youtube-Hit „Is mir egal“ war er im Internet schon ein Prominenter, bevor er zum singenden Kontrolleur in dem BVG-Werbevideo mit dem gleichen Titel wurde. Dass Akboga seinen Song im Original mit der Zeile „Diese Lied scheiße“ beendet, war zwar auch lustig. Aber er meinte das absolut ernst.
Kazim Akboga war einer dieser Künstler, die sich selbst ernster nehmen, als ihr Publikum es tut. Es war ihm alles andere als egal, was er tat. Hart im Urteil über sich selbst, stark zweifelnd daran, ob das, was er machte, seinen eigenen Ansprüchen genügte. In einem Interview, dass ich mit ihm während der EM 2016 führte, wiederholte er mehrfach, dass er eigentlich gar nichts könne und wisse. Und dass er sich noch sehr viel beibringen müsse.
Akboga wuchs in Schweinfurt als Sohn türkischer Einwanderer auf, wo er im Döner-Laden seiner Eltern arbeitete. Er machte eine Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondent und schrieb nebenbei Gedichte und Texte. Mit 30 hatte er genug von diesem Leben. Er wollte ausprobieren, ob er das Zeug zu mehr hatte, und zog nach Berlin, wo er bei einem Werbeunternehmen als Werbetexter arbeitete. Nach ein paar Monaten schmiss er den Job. Es sei alles viel zu bürokratisch gewesen, der Freiraum für seine Ideen viel zu klein. Und also schloss er sich in seiner kleinen Neuköllner Erdgeschoss-Butze ein und drehte Youtube-Videos.
Bis hierher hatte er es ganz alleine geschafft. Ohne Hilfe einer großen Vermarktungsindustrie. Aber jetzt saß er da, in seinem Neuköllner Kiez. Ging man mit ihm dort durch die Straßen, fragten ihn ständig Passanten, ob er der „Ismiregal“ sei, Autofahrer hoben im Vorbeifahren den Daumen, zum Zeichen, dass man ihn gut finde, junge Studentinnen baten in Cafés um Autogramme.
Aber trotz des großen Erfolgs durch den BVG-Spot kannte kaum jemand den jungen Mann mit Namen. Er blieb der „Ismiregal“-Typ, selbst unter Comedian-Kollegen. Hätte er seinen Twitter-Account „@ismiregal“ genannt, er hätte tausende Follower gehabt. Hat er aber nicht. Er wollte nicht auf diese Figur reduziert werden.
Eigentlich ein Mann für den leisen Humor
Akbogas große Vorbilder waren nicht die türkisch-deutschen Comedians. In dieser Ecke wollte er nicht stehen. Mit dem „Ismiregal“-Typ hatte er sich da zwar selbst hingestellt, aber da wollte er wieder raus. „Der redet ja so wie die ersten Einwanderer in den 60er Jahren“, sagte er über seine Figur. Stereotype bedienen, den lustigen Türken geben, sich auf das politische Kabarett spezialisieren, sich Erdogan und die Türkei vornehmen – er hätte großen Erfolg haben können. Das wollte er aber nicht. Seinen Video-Beitrag zur Debatte Erdogan gegen Böhmermann nahm er nach kurzer Zeit wieder aus dem Netz. Er hatte keine Lust auf politische Schlammschlacht. Er wollte nicht, dass die Leute aus politischer Solidarität über seine Witze lachten, sondern weil sie lustig waren. Aber sein Humor war nicht zum Brüllen komisch. Er war ein bisschen schräg, der Wortwitz subtil. Eigentlich ein Mann für den leisen Humor, der nur durch seine Verkleidung wie ein bunter Spaßvogel wirkte.
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Kazim für tazzen
Es waren Leute wie Urban Priol, Johann König und vor allem Helge Schneider, die er als Vorbilder nannte. Akboga wollte nicht auftrumpfen mit dumpfen Sprüchen, er wollte mit der Sprache spielen. Und er wollte so gern so gut Klavier spielen wie Helge Schneider.
Hin und wieder trat er nach dem BVG-Erfolg in Provinz-Discos auf, hier und da hatte er eine Einladung in die Show anderer Comedians und trat bei „Deutschland sucht den Superstar“ auf. Erfolglos. Sein Humor aber verstand man dort nicht. Es klingt wie ein abgegriffenes Stereotyp, aber trotzdem ist es wahr: Großer Humor und tiefe Traurigkeit sind Zwillinge. Sie liegen sehr nah beieinander, gefährlich nah für ein Leben.
Kazim Akboga ist tot. Er war niemals egal.
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