: Die Wut der Jugend
NACHRUF Holger Czukay, Bassist und Komponist der Kölner Band Can, ist 79-jährig gestorben. Seine Musik ist in vielerlei Hinsicht herausragend
Als der Westen noch recht übersichtlich war, Ende der Sechziger, gab es zwei TV-Sender, die bundesweit zu empfangen waren: ARD und ZDF. Für beide komponierte Can, die Kölner Rockband, Soundtracks und Titelthemen. Ihre von der E-Musik und vom Freejazz abgeleiteten improvisatorischen Songs überführten das Technicolor-Zeitalter der Fernseh-Bilderwelten in einen neuen Klang. Zu hören etwa in der Musik für den Straßenfeger „Das Messer“ (1971), ein Krimi nach Francis Durbridge, für den „Tatort“ „Tote Tauben in der Beethovenstraße“ (1974) und der Erkennungsmelodie für das Kulturmagazin „Aspekte“ (1977).
Die besten Connections zum Fernsehen hatte Holger Czukay – Bassist, und zusammen mit dem Keyboarder Irmin Schmidt, Mitgründer der Band Can, die 1968 in Köln durch den Schweizer Gitarristen Michael Karoli und den vom Jazz kommenden Drummer Jaki Liebezeit komplettiert wurde. Schmidt und Czukay waren Schüler von Karlheinz Stockhausen und arbeiteten auch im Studio für elektronische Musik des WDR. Can war von Anfang an synästhetisch orientiert. Bei weitem interessanter und weit weniger epigonal als etwa die Bands der westdeutschen Beatszene, schuf Can von Anfang an eigenes Material.
Bei den frühen Konzerten liefen im Hintergrund Filme, die der Experimentalfilmer (und zeitweiliges Bandmitglied) David Johnson während der Demonstrationen im Pariser Mai 1968 gedreht hatte. Die Turbulenzen jener Zeit traten im Sound von Can hörbar hervor, der raffiniert, aber auch brachial collagierte und kontrastierte.
Nie wieder Faschismus hieß bei ihnen: Formensprachen von Blues und außereuropäischer Folklore auf Traditionen der europäischen Avantgarde zu werfen und die Unzufriedenheit und Wut der Jugend in ausufernde Klangkaskaden zu verwandeln.
„Wir verweigern ein Urteil über die Schönheit von Musik“, erklärte Holger Czukay 1972. „Wir spielen einfach und bedienen uns an ihrer immensen Klangpalette. Wir sind universelle Dilettanten.“ Eine freche Behauptung – speziell Czukay hatte damit zu kämpfen, seine akademische Bildung durch Rock ’n’ Roll „zu verlernen“.
Obwohl Can als Band reflektiert und theoretisch bewandert zu Werke gingen, befreiten sich ihre Songs aus der Falle der Abstraktion, sie floateten, aber gerieten nie zu hippiesk verdaddelt. Stilbildend wurden sie eher nebenher: Ihr viertes Album „Ege Bamyasi“ (1972) gilt als Blaupause für Drum ’n’ Bass, ein britisches Dancefloor-Genre, das rund 20 Jahre später die visionäre Vorarbeit von Can im Zeitalter von Computern und Samplern weiterführte.
Can waren von allen Akteuren des sogenannten Krautrock diejenigen, die am stärksten am Austausch mit dem Ausland interessiert waren. Nicht nur, weil Can mit dem Afroamerikaner Malcolm Mooney (1968–1970) und dem Japaner Damo Suzuki (1970–1973) zwei Künstler beschäftigten, die Englisch und Dada-Kauderwelsch sangen. Can tourten auch intensiv durch Europa und feierte vor allem in Großbritannien und Frankreich große Erfolge.
Nach der vorläufigen Auflösung der Gruppe, 1978, war es Holger Czukay, dem am leichtesten eine Solokarriere gelang. Sein Soloalbum „On the Way to the Peak of Normal“ (1981) besitzt mit „Ode to Perfume“ einen der schönsten Vocodersongs, die je erschienen sind.
Mitte der Achtziger produzierte und komponierte er auch für andere Künstler, darunter Trio, Annie Lennox und David Sylvian. Zusammen mit den anderen Can-Mitgliedern pflegte er das Erbe der Band behutsam, so, dass Reunion-Alben und Konzerte in den späten Neunzigern nie zu altherrenmäßig gerieten. Außerdem nahm er im ehemaligen Studio der Band, nahe Köln weiter auf, wo er auch zusammen mit seiner Lebensgefährtin Ursula lebte.
2017 war ein schwieriges Jahr für Czukay: Im Januar ist Jaki Liebezeit gestorben; seine Lebensgefährtin starb an ihrem 55. Geburtstag Ende Juli. Am Dienstag fand ihn sein Nachbar leblos im Studio, nachdem Bauarbeiter ihn aufmerksam gemacht hatten. Wann genau der 79-Jährige gestorben ist und unter welchen Umständen, blieb bis Redaktionsschluss ungeklärt.
Julian Weber
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen