Nachruf auf Hisbollahkritiker: Eine schulterzuckende Institution
Der libanesische Filmemacher Lokman Slim wurde erschossen in seinem Auto gefunden. Vor offener Kritik an der Hisbollah schreckte er nie zurück.
Wobei es kaum Resignation gewesen sein kann. Mit seiner Frau Monika Borgmann hatte der Verleger, Aktivist und Dokumentarfilmer eine regelrechte Oase aufgebaut. Inmitten eines der berüchtigsten Viertel im Süden Beiruts, wo die Hisbollah den Ton angibt, steht ihr „Hangar“. So nannten Slim und Borgmann ihre Allzweckhalle, weil sie, bevor die beiden sie für Debatten, Seminare und Ausstellungen umfunktionierten, als Werkshalle für den Flughafen diente. In einer Villa auf demselben Grundstück fügen sich Zeitungen, Zeitschriften und Bücher zu einem einzigartigen zeitgeschichtlichen Archiv zusammen.
Egal, was Slim anfasste: Im Libanon, dessen gewaltreiche jüngere Geschichte bis heute kaum aufgearbeitet worden ist, war seine Arbeit zutiefst politisch. Der Film „Massaker“, auf der Berlinale 2005 erstmals ausgestrahlt, näherte sich einer christlichen Miliz, die 1982 drei Tage lang Zivilisten niedermetzelte. Im kaum erträglichen Theaterstück „Der deutsche Stuhl“ spielten syrische und libanesische Ex-Gefangene ihren Alltag im Folterknast des Assad-Regimes nach. Neben Film und Theater kommentierte Slim die libanesische Politik; als offener Hisbollahkritiker war er ein gern gesehener Studiogast.
1962 geboren, stammte Slim aus einer schiitischen Familie. In den Achtzigern studierte er in Paris. Nach seiner Rückkehr gründete er einen Verlag, schrieb für Zeitungen und Magazine. In den 2000ern folgte das Umam-Dokumentationszentrum mitsamt dem „Hangar“, um endlich eine Aufarbeitung von Libanons bewegter Geschichte anzustoßen.
Sein Dokumentationszentrum war ein Phänomen
Dass man Slim in Beiruts Hisbollahgebiet gewähren ließ, war immer ein kleines Wunder. Das Zentrum in seiner Privatvilla, von Mauern umringt und doch für alle offen, war ebenso Institution wie Phänomen. Wer das Grundstück betrat, wurde Zeuge der Herzlichkeit, mit der das Paar auch die Teilnehmenden der taz-Reisen in die Zivilgesellschaft empfing.
In der Nacht auf Donnerstag meldete Slims Schwester: „Mein Bruder hat sich vor sechs Stunden zurück auf den Weg nach Beirut gemacht. Er ist noch nicht zurückgekehrt.“ Slims Freund Makram Rabah sagte dem Sender al-Arabiya: „Lokman ist eine unverblümte Stimme gegen die Hisbollah und seine Spur hat sich tief in dem von ihr kontrollierten Gebiet verloren. Das ist eine Technik, die sie zuvor angewendet haben.“
Am Donnerstagmorgen wurde er tot in seinem Auto im Südlibanon gefunden. Slim seien vier Kugeln aus kurzer Distanz in Brust, Kopf und Hals geschossen worden und er sei sofort tot gewesen, teilte die Gerichtsmedizin später am Tag mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour