Nachruf auf Hildegard Hamm-Brücher: Die Einzige
Die Liberale Hildegard Hamm-Brücher ist tot. Die „große alte Dame“ der FDP, die im Unfrieden aus ihrer Partei schied, starb mit 95 Jahren.
Ihr Name ist untrennbar verbunden mit einer Partei, aus der sie im Jahr 2002 ausgetreten ist: Hildegard Hamm-Brücher galt immer noch als die „große alte Dame der FDP“, als sie den Liberalen längst im Zorn den Rücken zugewandt hatte.
Hamm-Brücher hatte damit ein Zeichen setzen wollen gegen die Annäherung der FDP an die „antiisraelischen und einseitig propalästinensischen“ Positionen des „Herrn Möllemann“, später führte sie auch ihre Verärgerung über die stark wirtschaftsliberale Neuausrichtung der Freidemokraten unter der Führung von „Herrn Westerwelle“ als Begründung an. Richtiggehend böse konnte sie werden, wenn jemand in ihrer Gegenwart auf Jürgen W. Möllemann und Guido Westerwelle zu sprechen kam, die in ihren Augen für den Niedergang der Partei verantwortlich zeichneten.
In das kollektive Gedächtnis eingegangen war sie zuvor eher aufgrund ihrer Trauer: Tränen hatte Hildegard Hamm-Brücher vergossen, als Hans-Dietrich Genscher, „Herr Genscher“, wie sie auch ihn mit einiger Distanz bezeichnete, Anfang der Achtziger die sozialliberale Koalition mit Helmut Schmidt platzen ließ und die Ära Kohl einleitete. Das Misstrauensvotum gegen die Regierung Schmidt bezeichnete Hamm-Brücher als „Machtwechsel ohne vorheriges Wählervotum“, dem das „Odium des verletzten demokratischen Anstands“ anhafte.
Die sozialliberale FDP, die FDP des Walter Scheel und des Ralf Dahrendorf, die FDP, die die Ära Brandt ermöglicht hatte und auf den „Freiburger Thesen“ fußte, das war die Partei der Hildegard Hamm-Brücher.
Widerstand in der „Weißen Rose“
Sie wuchs, geboren im Mai des Jahres 1921 in Essen, mit vier Geschwistern in Berlin-Dahlem auf. Als der Vater starb, war sie zehn, als die Mutter starb, war sie elf Jahre alt – die Geschwister wuchsen fortan bei der Großmutter in Dresden auf, die Jüdin war und sich später das Leben nahm, als sie nach Theresienstadt deportiert werden sollte. Hildegard Hamm-Brücher galt in der NS-Zeit als „Mischling“, als solcher musste sie das Internat Salem verlassen. Nur unter Schwierigkeiten konnte sie ihr Chemiestudium in München aufnehmen. Dort gehörte sie zum erweiterten Widerstandskreis um die „Weiße Rose“.
Nach Kriegsende arbeitete die nunmehr promovierte Chemikerin zunächst bei der Neuen Zeitung als Wissenschaftsjournalistin – wo sie ein Redakteur namens Erich Kästner unter seine Fittiche nahm. Mit ihm zusammen unternahm sie Automobilfahrten in das Münchener Umland, um selbst hergestelltes Saccharin gegen Eier und Mehl zu tauschen, um schließlich Eierlikör herzustellen, den sie auf dem Schwarzmarkt verkauften – so konnte sie sich und ihre Geschwister „durchbringen“.
Den Führerschein hatte sie schon 1937 gemacht, so viele Auto fahrende Frauen gab es zu dieser Zeit noch nicht, von weiblicher Präsenz in der Politik ganz zu schweigen: Ab 1948 gehörte sie dem Stadtrat von München an und wurde auf die Liste der FDP Bayern gewählt. Der Beginn einer langen politischen Karriere – zu der sie der spätere Bundespräsident Theodor Heuss persönlich ermutigt hatte, nach einem Interview, das sie mit ihm für die Neue Zeitung geführt hatte.
Schon in ihren ersten Jahren im Bayerischen Landtag machte sie sich als Bildungspolitikerin nicht nur Freunde, zum Beispiel, als sie sich gegen die Konfessionsschule einsetzte; der Versuch der eigenen Partei, sie kaltzustellen, scheiterte. Später, im Jahr 1964, löste sie den Sturz des damaligen bayerischen Kultusministers Theodor Maunz (CSU) aus, nachdem dessen NS-Vergangenheit öffentlich geworden war.
Von der Parteipolitik abgewandt
Im Jahr 1969, sie war bereits im Bundesvorstand der FDP, wechselte Hildegard Hamm-Brücher erstmals als beamtete Staatssekretärin nach Bonn – wenige Jahre später, im Jahr 1976, war sie erstmals als Abgeordnete im Bundestag vertreten und wurde Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, zuständig für kulturelle Beziehungen. Auch zu diesem Zeitpunkt waren Frauen noch immer ungewöhnlich in der Politik, und sie war oft „die Einzige“ – unglaublich mutet heute eine ihrer Anekdoten aus den frühen siebziger Jahren an: Frauen, die im Hosenanzug vor dem Bundestag sprechen wollten, wurden vom Bundestagspräsidenten auf ihre Plätze zurückgeschickt, wegen ungebührlicher Kleidung.
Gefreut habe sie sich später über den Einzug der Grünen „mit ihren Blumentöpfen und Turnschuhen“ in den Bundestag, so sagte sie 2009 im taz-Gespräch – während sie selbst, die Vollblutpolitikerin, sich in ihren letzten Jahren von der Parteipolitik eher abgewandt hatte. Sie bedauerte gar, überhaupt je in eine Partei eingetreten zu sein: „Heute würde ich das nicht mehr machen. Es gibt so viele andere wichtige Bereiche, von Greenpeace bis Amnesty, man kann sich genauso ohne Partei politisch engagieren, ohne diese ‚Erniedrigungen des Aufstiegs‘.“
Aus der aktiven Politik hatte sich Hildegard Hamm-Brücher bereits 1991 verabschiedet. Sie war mit dem CSU-Kommunalpolitiker Erwin Hamm verheiratet, der bereits 2008 verstarb. Aus der Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor. Von München aus veröffentlichte Hamm-Brücher zahlreiche Bücher („Demokratie, das sind wir alle“) und stand als Interviewpartnerin zur Verfügung, als Zwischenruferin auch – und als Kritikerin insbesondere „ihrer“ Partei, der FDP, die in diesem Jahr so viele Tote zu betrauern hat: Scheel, Westerwelle, Genscher.
Das höchste Amt, das der Bundespräsidentin, blieb ihr verwehrt – obwohl sich viele Deutsche auch schon 1994 endlich eine Frau in dieser Position gewünscht hätten. Von „Machtkalkül“ und „Koalitionsräson“ sprach sie nicht ohne Bitterkeit, als der Job dann an Roman Herzog ging. Später unterstützte Hamm-Brücher energisch die Kandidatur von Gesine Schwan, doch die Berufung einer Frau zur Bundespräsidentin der Bundesrepublik Deutschland hat sie nicht mehr erleben können. Am Freitag ist sie, die aufrechte Demokratin, im Alter von 95 Jahren gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit