Nachruf auf Franz Ansprenger: Der Afrika-Pionier

Deutschlands berühmtester Afrika-Historiker, der die hiesige Beschäftigung mit dem Kontinent prägte, ist tot. Würdigung eines Kollegen.

Portraitfoto von Franz Ansprenger

Er gehörte zu den sensiblen und völlig uneitlen Hochschullehrern: Franz Ansprenger Foto: privat

Mit Franz Ansprenger, dem weithin bekannten Afrika-Historiker und beliebten Hochschullehrer am Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität Berlin, hat die deutsche Öffentlichkeit den Pionier der sozialwissenschaftlichen Afrikaforschung und Afrikapublizistik verloren. Er starb am 6. April.

Seine Berliner Afrika-Seminare über Themen wie beispielsweise Praktiken und Folgen europäischer Kolonialherrschaft, Imperialismus und Neo-Kolonialismus, Panafrikanismus, afrikanische Befreiungsbewegungen und das Apartheid-Regime, Militärregime und Stellvertreterkriege während des Ost-West-Konflikts haben viele Hunderte von Studierenden besucht, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus afrikanischen Ländern, die in Ansprenger einen inspirierenden und stets verständnisvollen Gesprächspartner und liberalen Hochschullehrer fanden.

Auch als Vorsitzender des Prüfungsausschusses des OSI, den er zusammen mit Ute Pfarr-Biegert jahrzehntelang souverän leitete, hat er wesentlich zur Profilbildung des Fachs politische Wissenschaft in West-Berlin beigetragen und viele junge Menschen mit Zuversicht die Examensklippe überspringen lassen.

Franz Ansprenger, im Jahr 1927 in Berlin als Sohn von Irma Ansprenger, geborene Blättner, und von Dr. med. Aloys Ansprenger geboren und unter schwierigen Lebensbedingungen in der NS-Zeit aufgewachsen, erfuhr frühzeitig Diskriminierung als „Nicht-Arier“ (wegen seiner jüdischen Mutter), was sein Weltbild mitgeprägt haben dürfte: Einerseits trat er stets – mit Verstand und Herz – für soziale Gerechtigkeit und faire Behandlung aller Menschen ein, andererseits bewahrte er sich ein gesundes Misstrauen gegenüber selbsternannten politischen Heilsbringern und ideologischen Hitzköpfen, die er unter anderem als Mitglied des Lehrkörpers während der Studentenrebellion der 1968-Generation in West-Berlin hautnah erlebte.

Er gehörte zu den sensiblen und völlig uneitlen Hochschullehrern, die Verständnis für die Reformforderungen der Studierenden aufbrachten, sofern diese ihre Ziele ohne Gewalt zu erreichen versuchten. Aktive Mitgliedschaft in hochschulpolitischen Organisationen gehörte nicht zu seinen Leidenschaften, wohl aber engagierte sich der bekennende Christ im Katholischen Arbeitskreis Justicia & Pax und im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK).

Vom Algerienkrieg geprägt

Ansprenger studierte Geschichte und wurde im Jahr 1952 in diesem Fach promoviert. Dem in Algerien geborenen Missionsarzt und engagiertem Politiker Louis-Paul Aujoulat verdankte er sein Interesse an Afrika, das damals im Begriff stand, sich von kolonialherrschaftlichen Bindungen zu befreien. Im Jahr 1961 erschien im Westdeutschen Verlag Politik im Schwarzen Afrika. Die modernen politischen Bewegungen im Afrika französischer Prägung, eine 500-seitige Pionierstudie, die als Forschungsauftrag der Deutschen Afrika-Gesellschaft erstmalig einen dokumentierten Überblick über die Ereignisse des politischen Umbruchs im frankophonen Afrika bot.

Es folgte 1964 die Habilitation im Fach Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung Afrikas, was ihn für die Gründung der „Arbeitsstelle Politik Afrikas“ am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin qualifizierte. Nach Gastdozenturen in Los Angeles (1964) und Dar Es Salaam/Tansania (1967/68) baute er in Berlin-Dahlem im Kiebitzweg 7 das Zeitungsausschnitt-Archiv Afrika auf, – tatkräftig unterstützt von Margherita Goltzsche, seiner jahrelangen Mitarbeiterin.

Rainer Tetzlaff wurde sein erster Assistent, kurz darauf folgte Heide Traeder als seine erste Assistentin. Aus diesem akademischen Ort der Forschung und Lehre sind seit den 1970er Jahren unter Ansprengers Leitung zahlreiche Afrika-Wissenschaftler/innen und Afrika-Journalisten/innen hervorgegangen sowie Diplom-Politologen/innen, die dann später bei politischen und kirchlichen Stiftungen und NGOs ihre erworbenen Kenntnisse anwenden konnten.

Bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Universitätsdienst zu Beginn der 1990er Jahre hat Franz Ansprenger mit seinen zahlreichen wissenschaftlichen Studien, Buchveröffentlichungen und DFG-finanzierten Forschungsprojekten das Afrika-Bild in Deutschland nicht unwesentlich mitgeprägt. Sein in zahlreichen Auflagen bei Beck erschienener Bestseller Politische Geschichte Afrikas im 20. Jahrhundert – verständlich geschrieben und die postkolonialen Entwicklungen pointiert kommentierend – diente zahlreichen Journalisten, Studierenden und seinen vielen Doktoranden/Innen als hilfreiche Orientierung.

Das galt vor allem für seine Analyse Der Schwarz-Weiß-Konflikt in Afrika (1971) und für Die Befreiungspolitik der OAU (1975). Weitere wichtige Stationen seiner wissenschaftlichen Laufbahn waren Studien über Namibia, Südafrika, die Auflösung der Kolonialreiche sowie über den Nahost-Konflikt, den er mit lebhaftem Interesse verfolgte.

Jahrzehnte am Otto-Suhr-Institut

Ansprenger war ein hoch reflektierter originell denkender Sozialwissenschaftler, der bei heiklen politischen Fragen Farbe bekannte und um Verständnis für afrikanische Politikentwicklungen warb, die ihn nicht selten schmerzten. Die größte Enttäuschung – abgesehen vom frühen Tod seines Sohnes – muss für ihn die für viele unverständliche Schließung seiner Arbeitsstelle Politik Afrikas in den 1990er Jahren gewesen sein.

Vielleicht sein persönlichstes Buch ist im Jahr 1972 unter dem Titel Versuch der Freiheit. Afrika nach der Unabhängigkeit (in der Reihe Kohlhammer) erschienen, gewidmet „Jacqueline und Joseph K., die mitten in Afrika gesellschaftlichen Fortschritt auf dem Wege parlamentarischer Demokratie anstreben“.

Das 176-seitige Werk schließt mit der Erkenntnis, dass die Hindernisse für Afrikas Entwicklung „auch in den afrikanischen Gesellschaften“ lägen, „in ihrer Spaltung zwischen Tradition und Moderne, in ihrem Schwanken zwischen Kapitalismus und Sozialismus, Zivil- und Militärherrschaft, Demokratie und Diktatur“. Aber nach seiner Überzeugung lägen sie „vor allem in der Konfrontation Afrikas mit dem so viel stärkeren und reicheren und deshalb mächtigeren Teil der Erde, den wir die Industrienation nennen… Wir müssen vor allem verhindern, dass Kontinente sich gegenseitig die Türen vor der Nase zuschlagen. Die schlimmste Unfreiheit besteht darin, abgeriegelt von seinen Mitmenschen zu sein, wie Afrika es in den Jahrhunderten des Atlantischen Sklavenhandels war“.

Gibt es ein klareren Beweis für die Feststellung, dass uns heute Franz Ansprengers Afrika-Expertise mehr denn je fehlt, wenn es zum Beispiel darum geht, eine humane Antwort auf die sogenannte ‚Flüchtlingskrise‘ der Gegenwart zu finden und den Staaten beim Aufbau leistungsfähiger politischer und wirtschaftlicher Strukturen Hilfe anzubieten?

Prof. Dr. em. Rainer Tetzlaff, unterstützt von Prof. Dr. Hartmut Elsenhans, Dr. phil. Margherita Goltzsche, Prof. em. Dr. Leonhard Harding, Dr. Konrad Melchers, Dr. Salua Nour, Ute Pfarr-Biegert, Prof. Dr. Michael Staack, Berlin und Hamburg, den 28.04.2020

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