Nachruf: Zum Tod von HR-Gründer Klaus Schwidrowski: Der Mann der Gegenöffentlichkeit
Er gründete vor fast 30 Jahren die Hamburger Rundschau. Sein Projekt überlebte Klaus Schwidrowski nur um elf Jahre. Jetzt starb er in Hamburg.
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HAMBURG taz | Er gab sich nicht gern zu früh zufrieden. "Tausend Leute mit tausend Mark" suchte Klaus Schwidrowski Anfang der 1980er Jahre, um in Hamburg eine Wochenzeitung zu gründen. Das Experiment hielt immerhin bis zum Beginn des neuen Jahrtausends, und Klaus Schwidrowski selbst überlebte es um elf Jahre: Am 14. Juli verstarb der Gründer der Hamburger Rundschau (HR) im Alter von 72 Jahren.
Es war die Zeit der wachsenden Gegenöffentlichkeit, damals vor drei Jahrzehnten, und Klaus Schwidrowski war mittendrin. Die Zeit war reif für andere Zeitungen, das sah auch er. 1977 hatte der Schriftsteller Günter Wallraff undercover als Redakteur bei Bild in Hannover gearbeitet, sein Enthüllungsbuch "Der Aufmacher" erschütterte den Springer-Konzern mehr als ein Jahrzehnt zuvor die "Enteignet Springer"-Kampagne der 68er. Die CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Ernst Albrecht und Gerhard Stoltenberg, versuchten "den Rotfunk" NDR wegen seiner "einseitigen Berichterstattung" über die Konflikte um das Atomkraftwerk Brokdorf zu zerschlagen. Gesellschaftlich strittige Themen gab es reichlich: Ökologie, Frauenbewegung, Dritte Welt, RAF, Faschismusdebatten …
Es war die Zeit, in der zwei linke alternative Tageszeitungen gegründet wurden: Die Neue lebte nicht lange, die taz lebt immer noch. Und in diversen deutschen Städten entstanden - meist nur für wenige Monate, höchstens ein paar Jahre - liberale bis linke lokale Wochenzeitungen: im Norden war die Kieler Rundschau die erste, es folgte die NaNa - Hannoversche Wochenschau, und nach vier Nullnummern ging im April 1982 die Hamburger Rundschau mit einer Auflage von rund 16.000 Exemplaren an den Start. Verleger des selbst ernannten "Kaktus in der Pressewüste" war eine lokale "Initiative für Pressevielfalt": 17 gut situierte Redakteure, Anwälte, Professoren und Lehrer hatten den Grundstock von 50.000 Mark aufgebracht und tatsächlich die anvisierte D-Mark-Million bei Bürgern fast zusammengesammelt. Die Belegschaft wurde Miteigentümer, jeder durfte und musste alles und erhielt dafür ein Einheitsgehalt.
Auch ohne formelle Hierarchie leitete Schwidrowski, damals Anfang 40, die elfköpfige Redaktion, fast alle anderen hatten bestenfalls ein Volontariat und ansonsten nur guten Willen vorzuweisen. Er hingegen hatte beim Stern gearbeitet und bei der Hamburger Morgenpost, war Reporter in Italien und Südamerika gewesen und Lokalchef in Hamburg. Er hatte Erfahrung, er diskutierte gerne und stritt sich auch, wenn er es für nötig hielt. Pflegeleicht war Klaus Schwidrowski nicht.
Die sich verschärfenden Konflikte in der Redaktion über die eigenen basisdemokratischen Strukturen wurden nach nur gut einem Jahr durch ein Machtwort der Initiative - des Verlegers - entschieden: Ein Chefredakteur wurde von außen geholt und bekam zwei Stellvertreter aus der Redaktion zur Seite gestellt. Klaus Schwidrowski wurde Herausgeber und Geschäftsführer, dessen Rat beim neuen Dreigestirn nicht immer gefragt war. Ob er das als Degradierung empfand, war nie so ganz klar. So sehr trug er sein Herz dann doch nicht auf der Zunge.
Als die HR schließlich - nach Eigentümer- und Konzeptwechseln sowie langem Siechtum - im Sommer 2000 eingestellt wurde, lebte Klaus Schwidrowski längst auf den Kanaren. Zuvor hatte er sich eine Weile lang wieder als Journalist in Südamerika umhergetrieben, dann zog es ihn in seine Wahlheimat Teneriffa. Bei einem seiner Besuche in Hamburg traf ihn nun im Juni der Schlag. Nach Wochen im Koma starb Klaus Schwidrowski. Die Urne mit seiner Asche wird auf Teneriffa beigesetzt, auf einer Klippe über dem Atlantik.
Klaus Schwidrowski war einer, der die Presselandschaft in Hamburg verändert hat. Das ist sehr viel.
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