Nachruf Jörg Haider: "Über Kärnten geht die Sonne unter"
Er polarisierte wie kein anderer Österreicher und sammelte viele junge Bewunderer um sich, die klaglos jeden Schwenk mitmachten. Haiders Tod könnte die Rechte deutlich stärken.
WIEN taz Mit Jörg Haiders Unfalltod ist die schillerndste Figur aus der österreichischen Politik des letzten Vierteljahrhunderts abgegangen. Wie kein anderer konnte der Landeshauptmann von Kärnten Emotionen schüren und polarisieren. Während seine politischen Gegner in ersten Reaktionen vor allem sein "politische Talent" würdigten, brach seinen engsten Mitarbeitern die Stimme, als sie ihre Gefühle öffentlich machten. "Über Kärnten geht die Sonne unter", geriet sein Stellvertreter in der Kärntner Regierung Reinhard Dörfler in Weltuntergangsstimmung.
Haider verstand es immer, sich mit bedingungslosen Bewunderern, vornehmlich jungen Männern, zu umgeben. Die weitgehend ideologiefreien Anhänger waren bereit, jeden politischen Schwenk mitzuvollziehen. Und davon gab es bei Haider viele.
Jörg Haider wurde im Januar 1950 in ein nationalsozialistisches Elternhaus im oberösterreichischen Bad Goisern geboren. Geprägt von einem Umfeld, das die Niederlage im Zweiten Weltkrieg noch nicht verwunden hatt, bediente Haider auch als erfahrener Politiker noch NS-Nostalgiker, indem er zum Beispiel auf die Konzentrationslager als verharmlosend als "Straflager" Bezug nahm.
Unvergessen auch sein Spruch von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich", der ihm 1991 den Landeshauptmannsessel in Kärnten kostete. Für Kritik an seine Auftritte vor SS-Veteranen, die er als Patrioten lobte, hatte Haider keinerlei Verständnis.
Das politische Talent zeigte sich schon sehr früh. Als 20jähriger Jurastudent in Wien wurde Haider an die Spitze des Rings Freiheitlicher Studenten gewählt. Der stand weit rechts von der Mutterpartei FPÖ, noch bevor sich diese unter Norbert Steger in Richtung FDP bewegte.
Mit 28 Jahren zog Jörg Haider als damals jüngster Abgeordneter in den Nationalrat ein, acht Jahre später ließ er sich in einer putschartigen Abstimmung am Parteitag in Innsbruck zum FPÖ-Chef wählen. Für Bundeskanzler Franz Vranitzky, SPÖ, war das der Anlaß die Koalition mit der FPÖ aufzukündigen und Neuwahlen anzusetzen. Die forthin regierende große Koalition mit ihrem unerträglichen Politfilz bot Haider den idealen Reibebaum und ermöglichte den steten Aufstieg der Fünfprozentpartei.
Nachdem er von einem Wahlonkel ein einst arisiertes Waldgrundstück in Südkärnten geerbt hatte, ließ sich Haider in Kärnten nieder, wo er unter der deutschtümelnden Bevölkerung besonderen Anklang fand. 1989 wurde er dank der Unterstützung der ÖVP zum ersten Mal zum Landeshauptmann gewählt.
Als er 1991 wegen der "ordentlichen Beschäftigungspolitik" abtreten musste, da hatte er seine Wiederkehr schon angekündigt. Tatsächlich konnte er 1999 neuerlich ins Landhaus in Klagenfurt einziehen. Sein größter Triumph folgte aber wenige Monate später bei den Nationalratswahlen, als die FPÖ vor der ÖVP zur zweiten Kraft wurde.
Hinter dem Rücken der Sozialdemokraten verhandelte er mit ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel und machte den schließlich zum Bundeskanzler. Die Rechtskoalition löste in ganz Europa heftige Proteste aus, die in einer Isolationspolitik der 14 EU-Partner gegen Österreich gipfelten.
Haider musste aus Staatsraison den Parteivorsitz an seine Stellvertreterin und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer abgeben und machte von Kärnten aus Opposition gegen die eigene Regierung. Diesen Spagat allerdings hielt die FPÖ nicht lange durch. Schon 2002 platzte die Regierung an den inneren Widersprüchen der Freiheitlichen.
Bei den Neuwahlen sackten sie von 27 auf bloß 10 Prozent ab. Trotzdem holte Schüssel die Haider-Truppe wieder in die Regierung. Beim neuerlichen Aufflammen eines Richtungsstreits spaltete Haider den moderaten Flügel, der aus der Regierungsmannschaft und der Kärntner Sektion bestand, als Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) ab.
Dann wurde es ruhig um den alternden Politrabauken, der in Kärnten ungebrochene Popularität genoß aber bundespolitisch schon abgeschrieben wurde. Bis zu den Wahlen vom 28. September: Durch sein Charisma und seinen engagierten Wahlkampf konnte er vor zwei Wochen den Stimmenanteil seiner außerhalb Kärntens fast inexistenten Partei beinahe verdreifachen.
Die Wiedervereinigung des "dritten Lagers", die Haider anstrebte, um die Rechte zur stärksten Kraft zu machen, wird er nicht mehr erleben. Ironischerweise sind die Aussichten dafür durch seinen Tod aber besser geworden: Denn die führerlos gewordene Schar der Haider-Verehrer wird sich nun leichter von der stärkeren FPÖ aufsaugen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch