Nachruf Jeanne-Claude: Die Skandalträchtige aus gutem Hause
Jeanne-Claude, zusammen mit Christo Verhüllerin des Reichstags, starb in New York. Ein Nachruf.
Fünf Millionen Besucher, von denen die letzten nachts um zwei Uhr gingen und die ersten morgens um vier Uhr kamen. Der verhüllte Reichstag schien mehr noch als ein Kunstereignis eine Natursensation zu sein: In der Früh ein kalt schimmernder Polareisberg und im Abendlicht ein warm leuchtender roter Felsklotz. Nach seiner Verhüllung im Sommer 1995 durch das in New York Künstlerduo Christo und Jeanne-Claude waren die Berliner nicht mehr die Gleichen wie zuvor. Sie waren weniger provinziell, sie hatten sich mit der Zukunft ausgesöhnt, nicht mehr unter sich zu sein. Das beantwortete die Frage, ob es sich beim "Wrapped Reichstag" um Kunst handelte. Klar tat es das.
Wer damals bei dem Ereignis dabei war, wird nun doppelt traurig sein: Am Mittwoch ist Jeanne-Claude in einem Krankenhaus an ihrem Wohnsitz New York im Alter von 74 Jahren an einer Hirnblutung gestorben.
Die Frage allerdings, ob Jeanne-Claude denn Künstlerin sei, erhitzte gerade zur Reichstagsverhüllung manche Gemüter. Denn das Ehepaar bestand nun grundsätzlich auf gemeinsamer Namensnennung. Das traditionsreiche weibliche Rollenfach der Ehefrau und Muse wurde ad acta gelegt. Es war Christo inzwischen ohne Statusverlust möglich, die gemeinsame Ideenfindung und Debatte ("Wir können pausenlos miteinander diskutieren. Wir schreien uns an, wir streiten") über die jeweiligen Projekt öffentlich zu machen.
Immer nur als temporäre Installation angelegt, sind ihre Aktionen Marksteine in der Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts. Der "Eiserne Vorhang – Mauer aus Ölfässern", ein Kommentar zur Berliner Mauer 1962 in der Pariser Rue Visconti, war zwar schon so skandalträchtig, aber noch nicht von so monumentaler Größe wie die nachfolgenden Projekte, etwa der "Running Fence" durch Kalifornien 1973 oder die mit pinkfarbenen Stoffschleifen garnierten "Surrounded Islands" 1982.
Als sie sich 1958 in Paris kennen lernten, war Christo Javacheff ein talentierter, aber mittelloser Kunststudent aus der bulgarischen Provinz, während die 1935 in Casablanca geborene Jeanne-Claude Denat de Guillebon eine viel umworbene Tochter aus besserem Hause war. Ihre Aktionen konnten sie schließlich selbst finanzieren - was oft genug den Ausschlag für ihre Realisierung gab –, weil sie zwei Dinge dann doch nicht zusammen taten: Er machte die Zeichnungen, sie aber die Verkäufe.
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