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NachgefragtVersuche ernstnehmen

■ Interview mit Psychoanalytiker Bradtke über den Selbstmord im Knast

Der Selbstmord von Udo J. sei nicht vorhersehbar gewesen, versicherte Justiz-Staatsrat Ulrich Mäurer nach dem Tod des Häftlings. J. hatte sich in der Beruhigungszelle der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen erhängt (siehe taz 23.5). Knapp fünf Stunden vorher hatte er versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Die Schnitte seien nur oberflächlich gewesen, winkte auch Knastchef Wiegand ab. Wie ernstzunehmend solche Selbstmordversuche sind, wollten wir von dem Bremer Psychoanalytiker Wolfgang Bradtke, Sprecher des Psychoanalytischen Institutes in Bremen, wissen.

Herr Bradtke, Hunde, die bellen, beißen nicht. Trifft das auch auf Selbstmörder zu?

Nein. Alle Versuche, auch wenn sie noch so harmlos aussehen, sind ernstzunehmen. Selbst wenn der Versuch nur demonstrativ gemeint ist, ist damit nicht zu spaßen. Es besteht die Gefahr, daß ein solcher Selbstmordversuch schiefgeht und so zum Selbstmord wird.

Udo J. hat sich aber nur sehr oberflächliche Schnitte beigebracht.

Es ist natürlich schwer, als Außenstehender etwas zu diesem konkreten Fall zu sagen. Aber nur weil Schnitte nicht besonders tief sind, heißt das nicht, daß sie nicht ernstgemeint waren. Alle Anzeichen, die irgendwie auf einen Suizid hindeuten, müssen ernstgenommen werden. Es gibt zahlreiche Untersuchungen über Selbstmorde. Es ist erwiesenermaßen statistisch häufig so, daß wenn jemand einen Suizidversuch gemacht hat, er dies wiederholen wird. Wer vom Selbstmord spricht oder es sogar versucht, muß also ernstgenommen werden.

Der Häftling soll Stunden vor dem Selbstmord hochgradig aggressiv gewesen sein.

Das kann ein weiterer Anhaltspunkt sein. Zwar begeht nicht jeder zwangsläufig Selbstmord, der aggressiv ist. Aggressivität ist aber ein wesentlicher Anteil des Suizides. Die Aggression, die sich zunächst gegen andere richtet, verkehrt sich zur Selbstaggression. Deshalb gehört ein hohes Aggressionspotential zu den Vorzeichen des Selbstmordes, die auch wissenschaftlich belegt sind. Es gibt natürlich keine absolute Möglichkeit, Suizide zu verhindern. Das darf man auch nicht außer acht lassen. Selbst in der Psychiatrie bringen sich Leute um, obwohl Fachleute vor Ort sind.

Und was tut man, um einen Selbstmord zu verhindern?

Um die akute Gefahr abzuwenden, ist es wichtig, denjenigen ernstzunehmen, und wenn sich jemand in Haft befindet, ihn, so gut es geht, zu überwachen. Daß ist in dem Fall des Häftlings ja wohl nicht geschehen. Langfristig ist eine psychotherapeutische Hilfe sinnvoll und notwendig. Fairerweise muß man auch sagen, daß manchmal erst im Nachhinein klar ist, welche Anzeichen vorgelegen haben.

Das Strafvollzugsgesetz sieht vor, Häftlinge, die aggressiv sind und sich selbst verletzen, in einer Beruhigungszelle unterzubringen. Das ist eine fensterlose Zelle im Keller des Knastes, deren einziges Mobiliar eine Matratze ist.

Aus psychologischer Sicht ist das natürlich keine ideale Lösung. Andererseits muß man aber auch sehen, daß die Beobachtung und Ruhigstellung für die Bediensteten im Gefängnis erstmal das Wichtigste ist. Natürlich ist es in jedem Fall besser, wenn ein Arzt hinzugezogen wird, weil der längerfristig natürlich auch andere Möglichkeiten hat, dem Patienten zu helfen.

Fragen: Kerstin Schneider

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