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Nachgefragt„Peinlich!“

■ Ermittlungsfehler im Fall Stradivari?

„Peinliche Ermittlungsfehler“hätten die Beamten der Bremer Mordkommission im „Fall Stradivari“begangen, sagt Berward Boden (43), Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft kritischen Polizisten. Boden ist Polizist in Köln. Einige Szenen des Films, der heute um 20.15 Uhr auf 3 SAT wiederholt wird, sind vom Hamburger Landgericht inzwischen verboten worden. Die Kripo ließ u.a. zu, daß die Durchsuchung in der Wohnung des Beschuldigten gefilmt wurde. Polizeipräsident Lüken will keine Konsequenzen ziehen.

taz: Herr Boden, Sie haben sich den Film „Der Fall Stradivari“mit den Augen eines kritischen Polizisten angesehen. Wie hat Ihnen die Reportage gefallen?

Der Film vermittelt einen treffenden Eindruck über den Alltag eines Kommissariates. Insofern hatte er die Qualität eines spannenden Krimis mit realistischem Hintergrund.

Es wird eine Szene gezeigt, in der der Beschuldigte vernommen wird. Der Polizist sagt: „Sie haben die Frau auf dem Gewissen, ihre Gönnerin, die haben Sie auf dem Gewissen.“Der Angeschuldigte antwortet: „Nein, nein“Der Polizist entgegnet: „Jawohl, sehr wohl.“Ist das eine übliche Vernehmungsmethode?

Auf den Geiger wird ein unheimlicher Druck ausgeübt. Das ist mir auch aufgefallen. Ich halte von solchen Vernehmungsmethoden nichts, auch wenn sie nicht so ungewöhnlich sind. Mir ist aber noch etwas anderes aufgefallen: Der Kripobeamte hat dem Täter vor seinem Geständnis eine phantasierte Geschichte erzählt, wie es hätte sein können, so nach Kommissar Derrick-Methode. Das ist ein Unding! Man legt den Leuten damit Geschichten in den Mund, anstatt sachgerecht zu ermitteln. Das hat man auch nach dem Brandanschlag in Solingen gemacht!

(Anmerk. d. Red. Der Kripobeamte erzählt vor der Kamera, daß er dem Beschuldigten das Geständnis damit erleichtert hätte: „Ich habe ihn gefragt, ob er oben an der Treppe war. Ich hab' ihm natürlich den Weg geebndet und hab' gesagt, das wolltest du doch nicht, daß die Frau stirbt. Und das wollte er auch nicht. Irgendwie mußte ich ja da ran, sonst rede ich sieben Stunden noch darüber.“)

Nehmen wir einmal an, das Fernsehteam hätte nicht bei der Mordkommission in Bremen, sondern bei Ihnen in Köln gefilmt. Wie hätten Sie sich verhalten?

Ich hätte das Kamerateam bei den Ermittlungen nicht dabei gehabt. Bei der Durchsuchung in der Wohnung haben Fernsehleute nichts zu suchen. Das geht so tief in die Privatsphäre eines Menschen. Die Polizisten hätten wissen müssen, daß das zu weit geht. Auch bei der Befragung der potentiellen Tatverdächtigen hätten die Polizisten nicht zulassen dürfen, daß gefilmt wird.

Gibt es noch mehr Situationen, in denen Sie gesagt hätten: „Kamera aus“?

Ja. Ich finde es unmöglich, daß man die Polizeistrategie gezeigt hat. Es wird ja sogar gezeigt, wie die Polizei etwas vorbereitet und scheitert. Eine bessere Vorbereitung für potentielle Straftäter gibt es gar nicht. Außerdem verlesen die Beamten vor laufender Kamera die Vorstrafen des geständigen Täters. Ein Unding, sowas im Fernsehen mit Namen und Ortsangaben auch noch zu senden. Auf diese Weise wird subtil rübergebracht: „Guck Dir mal an, was das für eine Clique ist, die dahinter steckt.“

Die Polizisten waren offensichtlich von der Schuld des Geigers überzeugt. Eine Kripobeamtin rauft sich vor der Kamera sogar die Haare und empört sich über den undankbaren Musiker, der am Tod seiner Geigenlehrerin beteiligt gewesen sein soll.

Solche Emotionen sind menschlich. Es drängt sich allerdings die Frage auf, ob die Beamten nicht zu vorschnell geurteilt haben. Vielleicht haben die laufenden Kameras einfach den Erfolgsdruck auf die Beamten erhöht. Ich finde, die Reportage solte als Lehrfilm in der Polizeischule gezeigt werden. Er zeigt sehr gut, was man im Umgang mit der Presse und bei den Ermittlungen nicht machen darf.

Fragen: Kerstin Schneide r

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