piwik no script img

Nachgefragt„Das Klima leidet“

■ Ärzte und Psychologen sprechen sich gegen den „Großen Lauschangriff“aus

Rund 50 Ärzte und Psychologen haben sich gegen die Einführung des „Großen Lauschangriffs“ausgesprochen. In einem offenen Brief kritisieren die Mediziner, die bei der Sektion der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“organisiert sind, daß der Lauschangriff „die falsche Antwort auf die wachsende Problematik organisierter Kriminalität“sei. Peter Kruckenberg ist Mitunterzeichner des Aufrufes und leitet am Zentralkrankenhaus Ost die psychiatrische Abteilung.

taz: Warum sprechen sich Ärzte, Psychologen und Analytiker gegen den großen Lauschangriff aus?

Peter Kruckenberg: Wir brauchen in einer Therapie eine Situation, die absolut vertrauensgeschützt ist. Allein das Wissen darum, daß man abgehört werden könnte, kann enorm verunsichern – auch, wenn eine Abhörung gar nicht stattfindet. Wir haben eine ganze Anzahl von Patienten, die immer Angst vor fremden, unkontrollierbaren Einflüssen haben. Wenn die wissen, daß es theoretisch abgehört werden könnte, ist das eine unerträgliche Situation. Für den Fall einer geplanten Straftat ist die Schweigepflicht auch heute nicht bindend, wenn durch Offenlegung die Straftat verhindert werden kann. Bei drohenden erheblichen Straftaten sind wir Ärzte zur Offenlegung sogar verpflichtet. Warum muß man darüber hinaus noch abhören? Sind Ärzte nicht glaubwürdig? Der Lauschangriff wird populistisch ausgeschlachtet. Das Grundgesetz ist ja nicht etwas, an dem man wegen irgendwelcher aktuellen Probleme immer wieder knabbern darf. Der Vertrauensschutz der Bürger vor dem Staat ist etwas sehr Bedeutsames.

Wie meinen Sie das?

Die Menschen reagieren auch auf das soziale und politische Klima, und dieses Klima leidet, wenn der Lauschangriff kommt. Als noch nichts über Umweltzerstörung bekannt war, hat das niemand in seine Ängste miteingebaut. Das Gefühl, das sich vermittelt, wenn man weiß, das man überall abgehört werden darf, ist sehr bedeutsam. Menschen, die ohnehin vertrauensgestört sind, laufen dann noch schneller Gefahr, wahnhaft zu reagieren.

Riskiert man bei den psychisch labilen Menschen nicht aber eine Übersteigerung des Problems, wenn man solche Szenarien bemüht?

Man muß die Auseinandersetzung öffentlich führen. Man kann doch vor den Patienten nicht verschweigen, daß die Möglichkeit existiert, abgehört zu werden. Heute sagte eine Patientin, sie glaube, der Atomkrieg fände statt. Allein die Tatsache einer unheimlichen Bedrohung, z.B. eines Atomkrieges oder des Abgehört-werdens – das macht Menschen angst.

Wieso engagieren Sie sich für diese Sache?

Ich habe selber Erfahrungen damit gemacht, am Telefon abgehört zu werden. Als junger Assistent an der Freien Universität Berlin habe ich mich hochschulpolitisch engagiert. Damals waren die Methoden ja so schlecht, daß man merkte, wenn man abgehört wurde. Ich habe ein dickes Fell, aber meine Familie war ziemlich beunruhigt.

Was sind den die Befürchtungen Ihrer Mitunterzeichner, die einfache Arztpraxen haben?

Der Unterschied zwischen Allgemeinärzten und Psychiatern ist nur ein gradueller, kein grundsätzlicher. Ein vertrauensvolles Gespräch muß auch mit dem Hausarzt möglich sein. Ein Großteil der psychisch kranken Menschen wird nicht von Nervenärzten behandelt, vor allem nicht zuerst. Auch von anderen gesundheitlichen Problemen möchte man doch oft nicht, daß sie bekannt werden.

Was halten Sie vom Bremer Verhalten in der Sache?

Ich finde es ausgezeichnet, wie mutig und offen Herr Scherf sich gegen den Lauschangriff verhalten hat. Ich halte das für sehr bedeutsam, nicht zuletzt, weil Scherf Jurist ist. Ich würde mich natürlich freuen, wenn Bremen dem Lauschangriff nicht zustimmen würde.

Fragen: Christoph Dowe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen