Nachgefragt: „Gemeinde überfordert“
■ Eine ostfriesische Kirchengemeinde zerbricht am Asyl für kurdische Familie
Die Jakobi-Kirchengemeinde in Warsingsfehn gewährt einem verurteilten Straftäter, seiner Frau und deren drei Kindern Kirchenasyl. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt erneut gegen den Asylsuchenden, wegen angeblich wiederholter sexueller Straftaten. Die Gemeinde hat den Kurden eine Frist bis zum 15. Mai gesetzt. Dann soll die Familie das Asyl verlassen. Jörg Buchna ist Sprecher der ev.-luth. Landeskirche Hannover im Sprengel Ostfriesland.
taz: Wird in Warsingsfehn die Nächstenliebe ausgebremst?
Jörg Buchna: Das ist eine zu saloppe Aussage über eine sehr ernste Sache. Ich glaube, die Jakobigemeinde war einfach von Anfang an mit der Gewährung des sogenannten Kirchenasyls überfordert. Sie hätte, nach meiner Einschätzung, nicht diese Familie, aber auch keine andere aufnehmen sollen.
Aus welchen Gründen?
Ein Kirchenasyl ist in jedem Falle eine starke Belastung für die Gemeinde und den jeweiligen UnterstützerInnenkreis. Das kann deshalb nur eine stabile Gemeinde leisten. In der Jakobi-Kirchengemeinde gibt es aber schon über Jahre innere Auseinandersetzungen, unabhängig vom Kirchenasyl. Meiner Meinung nach tragen diese inneren Schwierigkeiten wesentlich zu den jetzigen Spannungen bei.
Damit hat die Gemeinde den schwarzen Peter?
Nicht unbedingt. Zwischen denen, die Asyl gewähren und denen, die Asyl erhalten muß Vertrauen entstehen. Dies ist in Warsingsfehn nicht in der nötigen Tiefe geschehen. So war die Vorstrafe des Mannes zu Beginn des Kirchenasyls den Verantwortlichen nicht bekannt.
Wenn die kurdische Familie das Asyl verläßt, kann sie abgeschoben werden. Dann droht ihnen in der Türkei möglicherweise Folter oder Tod.
Die Situation ist tragisch. Auch für die kurdische Frau und die Kinder. Das ist allen klar.
Stellt man der Familie am 15. Mai die Koffer vor die Tür?
Das kann ich heute nicht beantworten. Alle Beteiligten suchen nach einer Lösung, damit die kurdische Familie die Gemeinde verlassen kann, aber nicht in die Türkei abgeschoben wird. Der Superintendent, der zur Zeit die Maßnahme anordnen müßte, hat schon gesagt, er könne es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, die Familie abschieben zu lassen.
Besser für den Gemeindefrieden wäre es schon, wenn die Kurden gingen?
Ja!
Egal wohin?
Nein. Wir bemühen uns intensiv um eine Lösung, nach der die Familie die Gemeinde verläßt, aber nicht in die Türkei abgeschoben wird.
Sind die Menschen der Jakobi-Gemeinde in Waringsfehn jetzt grundsätzlich gegen Kirchenasyl?
Niemand kann gegen oder für Kirchenasyl sein, denn das ist kein Rechtstitel, der eingeklagt werden könnte. Das Kirchenasyl ist kein rechtsfreier Raum, die Polizei hat auch in den Kirchenräumen jeder Zeit Zugriff auf die Asylsuchenden, wenn sie das denn will. Ob Kirchenasyl gewährt wird, ist ausschließlich eine Gewissensentscheidung der Gemeindemitglieder. Die Landeskirche kann dann diese Gewissensentscheidung seelsorgerisch begleiten. Ich darf gerade wegen des Streites in Warsingsfehn darauf hinweisen, daß es in Aurich, Norden und bis vor kurzem in Leer Kirchenasyle gibt oder gegeben hat, die vorbildlich getragen werden.
Fragen: T. Schumacher
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