■ Nachgefragt: Reiner Voss, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, antwortet auf Henning Scherf:: „Nicht die Richter, sondern die Politiker haben jahrelang versagt“
taz: Als die „Straffungskommission“ für die Bremer Justiz sich konstituierte, haben Sie das Vorhaben „ein spannendes Experiment“ genannt.
Reiner Voss, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes: Es ist immer spannend, wenn die Justiz reformiert oder verändert wird. Gerade heute prallen da Grundsätze aufeinander: Die Tendenz zur stärkeren Wirtschaftlichkeit und andererseits die Aufgabe der Jus-tiz, ein Optimum an Gerechtigkeit im Einzelfall zu ereichen.
Wird mit dem Argument der WirtschaftsImmer die richterliche Unabhängigkeit angetastet?
In der Diskussion wird immer so getan, als sei richterliche Unabhängigkeit ein Privileg für Richter, wodurch diese quasi zu Bremsern für alles Mögliche werden könnten. Das ist kompletter Unsinn. Das Prinzip der Unabhängigkeit ist ein Pfeiler unseres Rechtsstaats. Es ist ein Privileg der Bürger und Bürgerinnen.
Natürlich kann man auch richterliche Unabhängigkeit als Schutzschild für persönliche Eigenarten vor sich hertragen – was hin und wieder auch vorkommt. Aber das ist falsch, und wir Richter sagen das selbst immer wieder. Wir brauchen da niemanden, der uns das sagt – wie jetzt der Bremer Bürgermeister Henning Scherf in dem Artikel, den er in der Zeit veröffentlicht hat. Ich muss sagen, dass ich sein Vorgehen als wenig hilfreich und zudem als populistisch empfinde. Außerdem ist er offensichtlich nicht sehr tief in die Materie eingestiegen.
Der Zeit-Artikel trägt die Überschrift „Richter als Bremser“. Nun gehören Sie ja zur Straffungskommission, die Vorschläge zur Effektivierung des Bremer Justizapparates erarbeiten soll. Damit kann man Ihnen als quasi Modernisierer solche Vorwürfe doch kaum machen.
Entweder kennt Henning Scherf die Arbeit der Justiz, der Richter und Staatsanwälte nicht. Oder aber er meint aus irgendeiner Verärgerung heraus, deren Ursachen ich nicht kenne, den Kolleginnen und Kollegen vors Schienbein treten zu müssen. Ich meine, mit Populismen lässt sich keine Justizpolitik machen. Nicht die Richter, sondern die Politiker haben jahrelang versagt. Wir haben vom Verband aus seit X Jahren eine Modernisierung der Justiz und eine moderne Ausstattung mit Technik gefordert. Wir wollen reformierte Verfahrensordnungen. Nur sind wir nicht der Gesetzgeber. Wir können keine finanziellen Mittel bewilligen und auch keine Reformgesetze machen. Deswegen hätte die Überschrift eigentlich lauten müssen: „Politiker als Bremser“.
Der Artikel erweckt den Eindruck, als fehle den Justizbehörden jedes Management. Scherf schreibt beispielsweise „Wer von Computern nichts hält, setzt sie nicht ein. Ein Unternehmen, das sich so organisieren wollte, hätte große Probleme mit seiner Wettbewerbsfähigkeit.“ Was halten Sie davon?
Die Justiz kann von ihren Aufgaben her nicht mit einem Wirtschaftsunternehmen verglichen werden. Tatsächlich sind viele Kinderzimmer heute wohl moderner ausgestattet. Aber es ist Aufgabe der Länder – und Bremen hat da gute Fortschritte gemacht – die Justiz vernünftig auszustatten, auch mit moderner EDV- und Kommunikationstechnik. Nur: Damit hat die Politik 20 Jahre zu spät begonnen.
Fragen: Eva Rhode
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