: Nacherzählen ohne Schauspiel
Eher poetisch als politisch: Das italienische Teatrino Clandestino bringt Homers „Iliade“ als Multimedia-Theater auf Kampnagel und konzentriert sich dabei auf die Frage, wie das Versepos entstanden sein könnte
Es ist Krieg. Und wir sind schon mittendrin. So beginnt Homers Versepos Iliade, das früheste Zeugnis der griechischen Literatur (8. Jahrhundert v. Chr.). Doch es berichtet über die Highlights des Trojanischen Krieges ebenso wenig wie dessen Ende samt Untergang Trojas. Stattdessen erzählt die Iliade vom Zorn des griechischen Kriegers Achill, von den Kämpfen zwischen Troja (Ilion) und den die Stadt belagernden Griechen.
Insgesamt behandelt das Epos nur 51 Tage des 10-jährigen Krieges. Teatrino Clandestino, das Theater-Kollektiv aus Bologna, will sich in seiner Inszenierung Iliade auf dem Kampnagel-Theaterfest „Neue italienische Szene“ jedoch weniger auf die epische Handlung, als auf einen Schwerpunkt der Ilias-Forschung konzentrieren: Wie ist dieses 150.00 Verse umfassende Epos entstanden? Lange wurde in der Forschung darüber diskutiert, ob der Text wirklich von einem Dichter namens Homer verfasst worden sei. Oder ob er von verschiedenen Autoren zusammengetragen und anschließend redigiert wurde. Denn fest steht, dass es in den 24 Büchern der Ilias zu unerklärlichen stilistischen und qualitativen Brüchen kommt. Gleichzeitig ist das Epos durchwirkt von kontinuierlichen Motiven und Antizipationen, die einen einzelnen Autor vermuten lassen. Als wahrscheinlich gilt, dass Homer die Ilias aus verschiedenen mündlichen epischen Überlieferungen komponierte.
Hier setzt die Inszenierung des Teatrino Clandestino an. „Es geht uns darum, einen Weg zu suchen, wie die Ilias heute erzählt werden kann,“ erklären Fiorenza Menni und Pietro Babina vom Teatrino. „Nacherzählen ohne Schauspiel, Heraufbeschwören ohne Handlung. Im Genre der mündlichen Tradition bleiben, ihm aber gleichzeitig neues Leben geben.“ Theater als Update der mündlichen Überlieferung.
Neben der Bühne setzt das Kollektiv, das letztlich einen intuitiven Zugang sucht, dabei auch Video und Sound ein. Text, Ilias-Charaktere und Schauspiel werden so multimedial aufgesplittet, Körperbewegungen in Sound und Worte übersetzt. Die Hauptstränge der Ilias-Handlung entwickeln sich entlang des Zorns des Achill, der zur Rache am trojanischen Heeresführer Hektor führt. Im Olymp entbrennt unterdessen ein den gesamten Kosmos erschütternder Kampf um den Kriegsverlauf – die Götter gewähren mal Troja, mal den Griechen die Überhand über den Feind.
Es wäre leicht, zu dieser Schlachtbeschreibung Parallelen zu Kriegen der Gegenwart zu ziehen. Doch der Erwartung an ein politisches Stück erteilen Teatrino Clandestino eine Absage: „Wir wollen den poetischen Wert des Werkes respektieren, ohne es zu aktualisieren oder zum laufenden Krieg Parallelen zu ziehen. Das wäre zu einfach. Es ist wahr, dass Krieg einer der Vorlagen des Epos ist. Die Ilias ist aber in erster Linie eher poetisch, denn philosophisch.“ Christian T. Schön
Premiere heute, 20 Uhr, dann Freitag bis Sonntag, 20 Uhr, Kampnagel (k1)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen