piwik no script img

Nachdenken über Martin K.

Der Brandenburgische Kunstverein Potsdam zeigt Arbeiten aus dem Künstlerleben Martin Kippenbergers  ■ Von Harald Fricke

Und wenn die Wirklichkeit dich überholt, hast du keine Freunde, nicht mal Alkohol

(Peter Hein, Fehlfarben)

Fast ein bißchen enttäuscht stehen die Gäste im Vorhof des Potsdamer Kunstspeichers herum, nippen an dunklem belgischen Bier und warten, daß mit Martin was passiert. Ausfallend soll er werden, so wie gestern in der kleinen Wilmersdorfer Galerie von Bruno Brunnet, wo er im Vorbeigehen „scheiß Schwulengalerie“ zischte. Oder wenigstens betrunken, weil er dann immer so lustige Sachen macht, wie, im Herbst '91, Zahnpasta an die weißen Berliner Galeriewände von Barbara Weiss zu schmieren, weil „da ja alles zusammenpaßt, ne“.

Kippenberger aber hat sich im Griff, trinkt gemäßigt, ignoriert die aufmerksamen Blicke einiger betagterer Damen der Gesellschaft und läßt sich schließlich zu einem Gruppenfoto bewegen. Wie beim Richtfest stehen seine beiden Berliner Kuratoren, Friedrich Meschede vom DAAD und Christoph Tannert aus dem Künstlerhaus Bethanien, zum Handschlag bereit. Sie haben „Kippi“ nach Potsdam geholt, damit der Osten endlich die Polemik eines West-Dissidenten studieren kann. Tannert, der Guru im Vorwende-Underground Ost, sieht im Ruhrpott-Künstler Kippenberger das Pendant zur eigenen Bewegung, einen, der auch „nicht an der Angel gehangen“ hat. In der Mitte hat sich das Sammlerpaar Grässlin aus dem Schwarzwald aufgebaut, dessen umfangreiche Leihgaben jetzt die brandenburgische Kunstvereins- Retrospektive füllen („Kunstvereine sind eine Art Bürgerinitiative für die Kunst“ hatte Meschede dem skeptischen Ost-Publikum noch in der Eröffnungsrede erklärt); daneben Bärbel Grässlin, die Schwester, in deren Frankfurter Galerie Kippenberger 1985 unter dem Titel „Money Forever (Hunger)“ Henry-Moore-artig durchlöcherte Skulpturen zeigte, die jetzt das Zentrum zu „Das 2.Sein“ bilden. Und steif wie ein Minister beim Gipfeltreffen steht Martin Kippenberger in seinem grauen Sommeranzug außen. Mit Hut. Eigentlich sieht er aus wie Manfred Krug und paßt in diese Szene: Ein Provo gibt seine Kunst zu treuen Händen.

Anti-feministisch, anti-schwul, anti-antifaschistisch etc. – es ist nicht mehr leicht, einfach nur ein subversives Arschloch zu sein. Die vom Punk übernommene Anti- Haltung in Bildern und Kommentaren von Kippenberger, Oehlen und Förg war mit dem Mauerfall rechts überholt worden. Trotz aller Wut auf repressive Toleranz, in der Wilde-Maler-Klasse von 1982 noch Pflicht, geht seither eben nicht mehr als narzißtisch gekränkte Jungsdissidenz durch, was angeblich gegen die, „deren Spiel man nicht mitspielen“ (D. Diederichsen) dürfe – also gegen die fettarschige Sozialdemokraten- und Elterngeneration gerichtet war: etwa Kippenbergers Pseudo- Kollwitz-Zeichnung eines abgemergelten Afrikaners von 1982, mit dem Spruch „Neger haben einen Längeren – stimmt nicht!“ kommentiert.

Daß damals schon die Vorzeichen rechtskonservativ waren und die politischen Zusammenhänge eifrig ausgeklammert wurden, ist dabei nur ein zusätzlicher Widerspruch in der Geschichte der Spaß- Oppositionellen. Kohl hat statt Autobahnen Kunstmuseen bauen lassen. Doch inzwischen ist der Dortmunder Maler eh über diesen Kontext angreifbarer Positionen hinausgewachsen und auch sonst nicht sonderlich am Schattenboxen mit dem System interessiert. Kippenberger denkt nicht mehr von Bier zu Bier, sondern glaubt an die „Vorhersehung“, oder, wie er Jutta Koether gegenüber in einem ausgiebigen Interview-Buch bekennt: „Du mußt deine ,Gene‘ akzeptieren.“ Dafür wird er nicht geprügelt, sondern beklatscht. Und das Bild mit dem dürren „Neger“ hängt in der Sammlung liberaler Schwaben. Das schafft wiederum Freunde, nicht nur in Fördervereinen. Irgendwann werden Kunsthistoriker über Kippenberger streiten, womöglich über seinen Platz neben Willi Sitte – als kritischer, immer aber deutscher Realist.

Es ist nicht einmal zwei Jahre her, daß Martin Kippenberger, Jahrgang 1953, Maler, Bildhauer, Buch- und Dumme-Faxen-Macher, ein ziemliches Problem für den Betrieb darstellte. Sein Lieblingswitz aus dieser Zeit lautet in den „Gesprächen“: „Ich habe alles geschafft, was ich schaffen wollte. Ich bin der erste Künstler, der niemals auf einer documenta ausgestellt hat.“ Denn selbst der aufs Schockmoment erpichte Jan Hoet hatte Kippenberger als „zu zynisch“ abgelehnt.

Für jeden halbwegs politisch Korrekten galt der oberste Vorsitzende der Lord-Jim-Loge (einem frauenfeindlichen Männerbund mit „Sonne/Busen/Hammer“ als zünftigem Logo) als nicht einmal mehr satisfaktionsfähig, aber auch kein Museumsdirektor hätte sich hierzulande auf eine Ausstellung mit einem Künstler eingelassen, der sich über „Lieblingsminderheiten“ mokiert oder Hotelrechnungen damit vollkritzelt, wie Frauen im Hakenkreuz-Schlüpfer bei der Selbstbefriedigung ungelenk an ihrem Geschlecht herumfuhrwerken, als könne der Zeichner selbst sehr viel besser Hand anlegen. Dafür nahmen die Amerikaner den rauhbeinigen „Hetzler-Boy“ (die Kölner Galerie des Schwaben Max Hetzler profilierte sich während der achtziger Jahre mit einer ganzen Reihe der wilden Männer als Nachfolge-Institution zu Michael Werners Garde von Baselitz, Lüpertz, Immendorf und Penck): eine Ausstellung bei Metro Pictures in New York, ein Jahr in L.A.; und schließlich Kontakte zum Kurator Jeffrey Deitch, der ihn 1993 mit in die „Post-Human“-Ausstellung nach Hamburg nahm, wo Kippenberger ein Behinderten-Fahrzeug in die Deichtorhallen stellte – und ein hyperrealistisches Selbstportrait aus Bronze, Eisen, Hosen und Bergstiefeln, das in der Ecke stand und sich schämte.

Schon 1989 hatte Wolfgang Max Faust dem derb-deftigen Humor des Martin K. auf den Zahn gefühlt und für Wolkenkratzer vom „Künstler als exemplarischer Alkoholiker“ geschrieben. Sein Resümee: Kippenbergers „neuer Zynismus“ sei nichts anderes als die enthemmte Spießerebene, auf der „immer wieder dieselben Vorurteile vorgeführt“ werden. Entsprechend kehren Themen wie „Mensch Marke Frau“ (K. im Interview über seine Lebensgefährtin), „Sozialstaat“ („Wenn wir wirklich gut werden und wir arbeiten redlich, dann nehmen sies uns weg“ – K. einige Seiten später), „Neger“ („Ich meine, ich werde nicht zum Neger. Das war nie mein Wunsch. Vielleicht würde ich mich gerne mal mit ner Negerin zusammentun ...“) von kleinen Zeichnungen und Collagen bis zum großen Format ganz in Öl ständig wieder. Ohne viel Verstand, „das ist alles ,automatica‘“, inszeniert Kippenberger seine Malerei als eine Anhäufung von Banalitäten aus Siebziger-Jahre-Karstadt-Kultur und proletarischen Elendstypen, um den damit verbundenen sozialen Background als dilettantisch, häßlich und unkreativ bloßzustellen. Alles soll wieder lachhaft werden, so wie Freud im Witz den kindlichen Regreß enttäuschter Erwachsener gegen die leidvollen Realitätserfahrungen gesehen hatte: als Leidabwehr-Strategie des Seelenlebens, damit die verletzbaren Selbst-Gefühle nicht verlorengehen. Aus dieser Paranoia resultiert eine seit Dada oft bemühte künstlerische Taktik: Die überspitzte Entstellung von Wirklichkeit soll Bürger erschrecken und fernhalten. Die Ablehnung der Arbeiten aber wird von Kippenberger durchaus als Stilmittel miteinkalkuliert: Vielfach benutzt er vorgegebene Motive, Ikonen wie Mao oder Propagandamaterial der Soz-art, die er ins Grimassenhafte übersteigert. Mit der Parodie auf das historische Bild verschwindet dessen Durchschlagskraft, und das Original kann getrost dem Kitsch überantwortet werden. Wo Agitprop war, ist Kippenberger geworden. Bei Sigmar Polke, dem rheinischen Übervater Kippenbergers, hieß diese Strategie des zur Selbstprofilierung umgewerteten Wunsches „Kapitalistischer Realismus“, der sich schließlich im Bild „Moderne Kunst“ als ironische Bejahung des modernen „Gekritzels“ und Meta-Kommentar gegen den eigenen Betrieb wendete. Duchamps Urinoir funktionierte ähnlich. Kippenberger nun versucht nicht nur unaufhörlich, dieses Urinoir zu benutzen und zu entwerten, damit das Publikum merkt, was da vorher Kunst

Fortsetzung auf Seite 16

Fortsetzung

war. Er trennt Kunst und Leben generell kaum mehr, wenn er etwa Jutta Koether gegenüber seine Erfahrungen zusammenfaßt: „Das ist der große Trick überhaupt ...Ich bin normal, ich bin arschnormal ... ich bin der Arsch von Deutschland, ich bin das Normalste vom Normalen. Paß drauf auf, und es geht dir besser, jedenfalls ... vom Anschein her.“

An diesem Punkt kippt die Strategie in Verachtung um. Die eigene Befindlichkeit zielt nur mehr auf totale Aneignung und Auslöschung, nicht auf Auseinandersetzung mit dem Gegenüber ab. Dieses Gegenüber fällt für Kippenberger mit Schwulen, Fremden und Frauen im allgemeinen zusammen, die er um so heftiger als gleichwertig ablehnt, je weniger er sie ersetzen kann. Naturgemäß ist sein schlimmster Widersacher die Mutter seines Kindes.

Dieses Horrorbild in der Zelle des Privaten, von dem er in den „Gesprächen“ nicht zu reden abläßt, überträgt sich auf jede Form von Außen: Gesellschaft wird als speckige, konsumistische Frau mit Einkaufstüte allegorisiert und gegeißelt, während Kippenberger für die eigene Familie eine archaische Gruft aus schweren Bleitafeln entwirft. Selbst im Tod will der Kleinbürger Kippenberger sich vor den kleinen Bürgern schützen, als wäre seine Hölle nach Sartre die der anderen. Aus Angst vor dem Durchschnitt setzt er sich als Künstler- Genie, das einsam in anti-kleincalvinistischen Herrenunterhosen auf einem Hocker und also über den Dingen steht, die er portraitiert.

Doch der Apparat funktioniert nicht im Glauben an ein ursprüngliches „In-die-Welt-Gekommen- Sein“ der Bilder, das Martin K. ganz im Sinne von Martin H. als schlichte Wahrheit seiner Kunst benennt. Auch der egomane Verbal-Stratege funktioniert nur über ein eingespieltes Team von Galeristen, Kritikern und Sammlern. Insofern ist sein „Keiner hilft Keinem“ von 1988 vielleicht die stärkste Verneinung und das Anerkennen der eigenen gescheiterten Flucht in den Sarkasmus, der jetzt doppelt zurückschlägt: Das Bild wurde für die brandenburgische Reise ins „2. Sein“ ans Ende des schmalen Ausstellungsschlauchs gehängt – als Ikone westkapitalistischer Agonie und Wut aufs Soziale. Das hatte der Osten schon 1990 gelernt.

Kippenberger in Potsdam tut nicht mehr weh. Er hat sich selbst überlebt. Nicht in seinen Provo- Bildern und verbeulten Plastiken, die er zum Großteil von Assistenten malen, gießen oder finden läßt. Aber in der Anti-Haltung zur Geschichte: Aus den neunziger Jahren betrachtet, nehmen sich die wilden achtziger Jahre nur noch hilflos wie die spießigen Fifties aus. Und Kippenberger ist der Hausmeister im Sozialwohnungsblock am Rande von Köln.

Martin Kippenberger: „Das 2. Sein“ – Werke aus der Sammlung Grässlin. Bis zum 31. Juli im Kunstspeicher Potsdam. Zur Ausstellung ist ein Katalog, ca. 400 Seiten, erschienen.

„Gespräche mit Martin Kippenberger“, ca. 190 S., Reihe Cantz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen