: Nachbarschaftssport ohne NachbarInnen
■ FU-Studie: Die Ziele des 46-Millionen-Projekts „Breitensport im SC Siemensstadt sind größtenteils nicht verwirklicht worden / Anwohner nutzen Sportzentrum weniger als Bezirksfremde / Das Modell Großverein kein Vorbild mehr?
Eine sportpolitisch brisante Studie haben die FU -Wissenschaftler Gunter Gebauer und Joachim Goerke jetzt vorgelegt. Pünktlich zur SPD/AL-Neuorientierung im Berliner Sport brachten die Sportsoziologen einen „Endbericht zum Forschungsprojekt Freizeitsport in Siemensstadt“ heraus. Wie die taz (6.3) berichtete, soll bei der rot-grünen Koalition der Freizeit- und Breitensport verstärkt gefördert werden. Die Forschungsergebnisse bieten nun Orientierungs- und Entscheidungshilfen am Fallbeispiel für zukünftige Vorhaben im Bereich des Breitensports. Denn offenbar ist die Konzeption dieses kostenspieligen „Versuchsballons“ in großen Teilen gescheitert.
Mit einem Finanzvolumen von 42,6 Millionen Mark wurde 1981 das Pilotprojekt „Großverein SC Siemensstadt (SCS)“ aus der Taufe gehoben. Den Sportlern wurden u.a. eine Schwimmhalle, ein Vereinsheim, Sauna, Solarium und diverse Sportplätze auf einer Fläche von 60.989 Quadratmetern gebaut. Die neu eingerichteten Sportangebote sollten unter dem Motto „Sport für alle“ besonders von den Siemensstädter StadteilbewohnerInnen genutzt werden. Insgesamt strebten die Planer an, daß der Freizeitwert des Stadtteils angehoben werden sollte. Die Vereinsführung wollte schon aus ökonomischen Gründen (Ziel Selbstfinanzierung) ein stürmisches Wachstum des Vereins erreichen.
Die Vorraussetzungen für eine zumindest annähernde Realisierung der großen Pläne schienen gut. In der 1986 von Gebauer und Goerke veröffentlichten Begleitstudie „Freizeitorientierter Großverein SC Siemensstadt“ hieß es, daß „Siemensstadt ein sportfreudiger Stadtteil“ sei. Auch die bisher sportlich inaktiven Bewohner Siemensstadts äußerten mit großer Mehrheit (zwei Drittel) Interesse am Sport. Aber ihre in der Zukunft möglichen Sportaktivitäten sahen sie weder im Fitneß- noch im Leistungssport. Die Leute wollten dagegen viel lieber an Spiel und Spaß orientierte Angebote. Eine große Frage war, ob es gelingen würde, diese Gruppe an den SCS anzubinden.
Die Ergebnisse der Studien sprechen eine deutliche Sprache. Es ist offensichtlich nicht gelungen, ausreichende Programme auf die Beine zu stellen, die die Spiel- und Spaßsportler unter Umständen mobilisiert hätten. Gestaltungskonzepte für „unernste“ Übungsstunden sind im SCS Mangelware. Die „Nichtsportaktiven“ konnten nicht in der gewünschten Zahl an die Kurse bzw. an den Verein angebunden werden. Damit ist auch das Vorhaben, die StadtteilbewohnerInnen für den SCS zu begeistern, weit hinter dem Anspruch zurückgeblieben. Entgegen der ursprünglichen Konzeption „reisen“ inzwischen aus allen Bezirken Leute an, die beim SCS sporteln. Dagegen nimmt die Zahl derer ab, die als unmittelbare Nachbarn des Sportzentrums die Angebote nutzen. Besonders eklatant ist diese Entwicklung bei den Neumitgliedern. Nur noch die Hälfte kommt aus der Nachbarschaft. Der zweite Teil kommt aus anderen Bezirken und treibt zu zwei Dritteln auch noch woanders Sport. Sie nutzen den SCS nur als günstiges Angebot. Eine dauerhafte Bindung an den Verein ist nicht gesichert. „Diese Gruppe der hochaktiven Freizeitsportler bedarf keiner besonderen Anstrengungen, um sie für das Sportzentrum zu interessieren. Diese sollte der Verein hingegen aufwenden, um eine möglichst breite Palette von Freizeitsportangebot zu entwickeln“ (Sportdeutsch? die k.), hatten die FU-Wissenschaftler schon 1986 bemerkt.
Diese Sportler, die eine „instrumentelle“ Sportauffassung haben, das heißt sportliche Fitneß steht für sie als Zweck hinter den Aktivitäten, haben den SCS „überschwemmt“. Offenbar sind die Freunde des Spielerischen durch diese Fitneßfreaks noch zusätzlich abgeschreckt worden. „Die Fitneß-Auffassung vom Sport, die sich mehr und mehr im Verein durchgesetzt hat, steht den Sportwünschen der Stadtteilbewohner immer stärker entgegen“, ergänzten die Verfasser der Studie ebenfalls schon 1986. Die Schwelle, sich als Nichtsportler aufzuraffen, ist durch die sportlich -dynamischen „Vorbilder“ allem Anschein nach noch heraufgesetzt worden.
Äußerst problematisch ist auch die Betreuung von Behinderten und Ausländern, die weiterhin nur marginal in den Statistiken des Vereins vorkommen. Auch die angestrebte Verdoppelung der Mitgliederzahlen ist nicht gelungen. 1981 zahlten 2.550 Menschen Vereinsbeiträge, 1987 sind es bei 3.307 Sportlern auch nicht viel mehr. Das heißt, das Großprojekt ist nicht in der Lage, sich finanziell zu tragen. Der Senat muß jährlich weiterhin 500.000 Mark zuschießen.
Zu den Gründen, warum das teure Projekt nicht in der ursprünglich angestrebten Form realisiert werden konnte: Offenbar gibt es nach wie vor konzeptionelle Lücken, wie auf die Spiel- und Spaßinteressierten eingegangen werden könnte. Darüber hinaus hat die Vereinsführung wohl subjektiv einige Fehler begangen. Es mangelt an Demokratie. So haben die AbteilungsleiterInnen kaum Mitspracherecht bei übergeordneten Entscheidungen. Objektiv - und das ist ein Hauptargument der Wissenschaftler, kann ein einziger Großverein wohl zu wenig flexibel auf die Interessen und Wünsche der Sportinteressierten eingehen. „Mehrere Vereine geringerer Größenordnung können mehr Möglichkeiten bieten“, meinen die Sportwissenschaftler.
Theo Düttmann
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