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Nachbarn Georg Friedrich Händel und Jimi Hendrix teilen sich ein Museum und ein dunkles KapitelUnruhige Musikgeister

VON Daniel Zylbersztajn

Inmitten des vornehmen Viertels Mayfair in London liegt die Brook Street, dort schmeißen die Supermodels und Gutbetuchten dieser Welt mit ihren Kreditkarten nur so um sich. Zwischen den auf Hochglanz getrimmten Edelboutiquen führt an einem kleinen Haus eine steile und schmale, hölzerne Treppe hinauf. Hier lebten einst zwei Musiker. Der deutsche Komponist Georg Friedrich Händel von 1723 bis zu seinem Tod 1759 in der Brook Street 25. Und – über 200 Jahre später, aber nur ein Stockwerk darüber und direkt nebenan in der Brrok Street 23 – der US-Gitarrist Jimi Hendrix, zusammen mit seiner damaligen englischen Freundin Kathy Etchingham.

Beide Musiker trennen Welten, klar. Aber als Nachbarn kannten sie sich. Jimi Hendrix besaß einige Schallplatten von Händel. Und der wiederum bemühte sich trotz der Zeitbarriere darum, seinen Nachbarn des Nachts aufzusuchen. Einmal kam er „im Schlafgewand mit langem grauen Pferdeschwanz“ aus einem der Spiegel hervor, um die Bekanntschaft mit dem jungen amerikanischen Musiker zu machen. Er traf Georg Friedrich Händel als Geist, so berichtete es Jimi Hendrix jedenfalls in einem Interview.

Händel komponierte in der Brook Street unter anderem den „Messias“. Was Hendrix hier komponierte, daran kann sich Kathy Etchingham nicht mehr so genau erinnern. Sie weiß aber noch, dass er oft bis fünf Uhr morgens seine Gitarre spielte. Lärm konnte er machen, soviel er wollte. Alle anderen Einheiten des Hauses wurden kommerziell genutzt. Nach Feierabend war außer ihnen beiden niemand da.

Aus der Zeit der späten Sechziger existieren zahlreiche Fotos, die in dieser Wohnung aufgenommen worden sind. Für den ehemaligen Fotografen des britischen Musikmagazins Melody Maker, Barrie Wentzell, war das ein Auftrag wie jeder andere, erzählt er der taz. „Ich bat Hendrix, sich auf einen Stuhl zu setzen und ganz natürlich zu sein. Wir sprachen über Musik.“ Vor einer Obstschale sieht man Hendrix in Schwarz und Weiß, mit Lackschuhen, geblümtem Hemd und Schlapphut. Auf dem Boden ein Perserteppich, im Hintergrund ein Fernseher und eine Vitrine, in der angeblich Songtexte von Hendrix aufbewahrt wurden.

„Dass diese Fotos wertvoll sind, erfuhr ich erst, als mich lange nach dem Ende des Melody Maker Leute nervten, weil sie nach alten Fotos von Eric Clapton fahndeten“, erzählt Wentzell, dessen inzwischen graue schulterlange Haare immer noch im Pagenschnitt frisiert sind. Bei der Archiv-Recherche fielen ihm auch die Aufnahmen aus der Brook Street wieder in die Hände.

Eine Epiphone FT-79

Für Händel gibt es schon seit dem Jahr 2001 ein Museum am einstigen Wohnort. Dort lassen sich das Schlafgemach und einige seiner Instrumente besichtigen, und man erfährt vieles über die Lebensgeschichte des Komponisten. Eine Plakette außen am Haus deutete bereits zur Zeit von Hendrix auf das Wirken des deutschen Komponisten hin. Doch ins Museum kamen nicht nur auf Klassikfreunde. Immer wieder fragten auch Hendrix-Fans, ob es stimme, dass nebenan die Rock­ikone lebte. So entstand die Idee, die beiden Musiker miteinander an einem Ort zu verbinden.

Mit 3 Millionen Euro wurde aus dem Händel-Museum das „Handel & Hendrix in London Museum“. Mithilfe von Wentzells Fotos und Etchinghams Erinnerungen baute man das Schlafzimmer der beiden en détail nach. Mit dem Ergebnis ist Kathy Etchingham zufrieden. Ihre einzige Kritik: Ihr Schlafgemach sei in Wirklichkeit viel sauberer und die Bettdecke stets militärisch glatt gewesen, ein Überbleibsel seiner Armeezeit.

In einem Nebenzimmer kann man auch die gesamte Plattensammlung von Hendrix bewundern. Und siehe da, neben Alben von Muddy Waters, Ravi Shankar, John Lee Hooker, Howling Wolf und Nina Simone besaß er auch Aufnahmen von Händels „Belshazzar“ und des „Messias“. Auch eine seiner Gitarren ist ausgestellt, eine Epiphone FT-79. Er hatte sie eigens aus New York nach London importiert.

Hendrix lebte nur kurz in London. Kathy Etchingham und er zogen am 4. Juli 1968 in Mayfair ein. Hendrix kehrte schon einen Monat später in die Vereinigen Staaten zurück, beauftragte jedoch Etchingham, die Wohnung nach der neuesten Mode einzurichten. Weil er ständig auf Tour war, lebte er mit ihr erst ab dem 2. Januar 1969 wieder vor Ort. Im April 1969 trennte er sich von ihr.

Ist es überhaupt sinnvoll, dass diese eher temporäre Bleibe zu Hendrix’ einzigem Museum umfunktioniert wurde? Der Hendrix-Biograf Harry Shapiro bejaht das. Hendrix sei erst durch Londoner Clubs, wie dem „Ronnie Scott“ und dem „Blaise“, überhaupt berühmt geworden. Die beiden anderen Mitglieder seiner Band, Noel Redding und Mitch Mitchell, waren Briten. „Das Zimmer wirkt auf mich, als würde Hendrix heute Abend zurückkommen.“

Ob hier auch heute noch der Geist von Händel spukt, ist schwer zu sagen. Vielleicht aber konnte seine Seele schon damals nicht ruhen, als er aus dem Spiegel stieg und Hendrix begegnete. Inzwischen ist nämlich bekannt, dass Händel mit Ak­tienanteilen am britischen Sklavenhandel spekulierte. Hendrix’ Großvater wiederum war das uneheliche Kind einer ehemaligen Sklavin und des Großgrundbesitzers, dem sie gehört hatte. Im Museum gibt man sich bezüglich dieser Tatsache momentan zugeknöpft. Auf Anfrage ist zu hören, dass man es für geboten halte, weitere Entwicklungen in der historischen Aufarbeitung abzuwarten.

Aktien im Sklavenhandel

Der Historiker David Hunter, der sich in seinem Werk „The Lives of George Frideric Handel“ (Boydell Press, 2015) auch mit Händels Investitionen in den Sklavenhandel beschäftigte, meint jedoch, dass „die Verbindung zwischen Händel und Hendrix eine wundervolle Gelegenheit sei, das Thema des transatlantischen Sklavenhandels und dessen Beziehung zur Musikwelt aufzuarbeiten“. Händel gehörte, so Hunter, zur gesellschaftlichen Elite und tat es mit seiner Investition in die mit dem Sklavenhandel verbundene Royal African Company vielen anderen um das Jahr 1720 gleich. Was Menschen wie er von ihren Investments über das Versprechen von Profit hinaus wussten, muss noch erforscht werden, gibt Hunter an. Die Verdienste aus den Aktien, so Hunter, hätten Händels Arbeit in schlechten Zeiten finanziert.

Thematisieren sollte das Museum die Sache schon bald mal, etwa in seinem Kulturprogramm mit Konzerten, Vorlesungen und Führungen. Was Händels Sklavenhandelsaktien betrifft, sagt David Hunter jedenfalls, „dass er sich dem Museum gerne zu diesem Thema zur Verfügung stellen würde“.

Im Jahr 2001 hatte bereits ein katholischer Exorzist versucht, das Haus vom Geist Händels zu befreien, im Auftrag des museumseigenen Händelvereins. Diesmal, mit der Aufdeckung einer düsteren Wahrheit des Komponisten, mag es klappen.

Museum „Handel & Hendrix“, www.handelhendrix.org, Eintritt 7,50 Pfund

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