Nach zehn Jahren an der Parteispitze: Bütikofer schmeißt hin
Der grüne Parteichef stellt im November sein Amt zur Verfügung: Er will ins Europäische Parlament. Co-Chefin Roth möchte erneut kandidieren.
![](https://taz.de/picture/397617/14/buetikoferr_b.jpg)
Der Parteichef der Grünen, Reinhard Bütikofer, gibt seinen Posten ab. Auf dem nächsten Parteitag im November in Erfurt werde er nicht mehr für das Amt des Vorsitzenden kandidieren, erklärte der 55-Jährige am Montag der überraschten Presse.
Er wolle sich um ein Mandat im Europäischen Parlament bewerben, sagte Bütikofer zur Begründung. Es sei besser, den Wechsel an der Grünen-Spitze "dieses Jahr abzuschließen und ein junges Gesicht nach vorn zu stellen", als damit zu weit in den Bundestagswahlkampf 2009 zu geraten. Bütikofer ist seit 2002 Grünen-Vorsitzender, zuvor war er Bundesgeschäftsführer.
Mit dem ewigen Gerangel in der Grünen-Führung zwischen den beiden Parteichefs Bütikofer und Claudia Roth, den beiden Fraktionschefs Fritz Kuhn und Renate Künast sowie dem ehrgeizigen Exminister Jürgen Trittin habe seine Entscheidung nichts zu tun, behauptete Bütikofer - jedenfalls soweit dies die letzten drei Monate betreffe. Der taz erklärte er später, er habe schon seit vielen Jahren ins Europäische Parlament gewollt: "Europa ist eine alte Liebe von mir."
Seine Co-Parteichefin Claudia Roth sagte, sie nehme Bütikofers Ankündigung "widerwillig zur Kenntnis", verstehe ihn aber. Roth will im November wieder antreten. Wer aber nun die zweite Person neben Roth werden könnte, die am Montag wieder einmal von sich sagte, dass "Kopf und Herz bei mir relativ nah zusammenhängen", ist ab sofort offen für Spekulationen.
Der hessische Fraktions- und Parteichef Tarek Al-Wazir (37), der seit seinem Ein-Mann-Wahlkampf zur Hessen-Wahl auch bundesweit bekannt ist, sagte der taz spontan: "Mich können Sie von der Liste streichen." Bekanntlich sei das Amt eines Fraktionsvorsitzenden laut Satzung unvereinbar mit der Bundesparteiführung.
Ein ähnlicher Ämterkonflikt belastet ein weiteres jüngeres Grünen-Gesicht, Boris Palmer (35), der erst seit Januar 2007 Oberbürgermeister in Tübingen ist. Die sächsische Landtagsfraktionschefin Antje Hermenau (43) hat vor einigen Wochen im taz-Gespräch zugegeben, schon einmal "mit dem Gedanken gespielt" zu haben, Parteichefin zu werden. Doch bedeute so ein Schritt "die Fahrkarte ins familiäre Unglück", erklärte sie damals.
Der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick (35), der sich zu Jahresbeginn an die Spitze einer kleinen Jugendbewegung gegen Machtgezerre an der Spitze und für offenere Diskussionen, mehr Basisanbindung und klarer pointierte Inhalte gesetzt hatte, blieb zunächst vorsichtig. Der Rückzug von Parteichef Bütikofer sei eine "Chance für einen Generationswechsel, die genutzt werden kann", sagte Schick. Petra Selg, Landesvorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg, zeigte sich wenig überrascht und erinnerte sich, dass als möglicher Nachfolger Bütikofers "immer wieder der Name Jürgen Trittins gehandelt" werde.
Ob Jürgen Trittin (53) auch noch diesen Schritt wagt, darf bezweifelt werden. Ein zweiter Linker neben der Linken Roth ist machtarithmetisch nicht vorgesehen - erst recht nicht dann, wenn man sich auf schwarz-grüne Bündnisse zubewegt. Außerdem wird Trittin gemeinsam mit Fraktionschefin Künast Spitzenkandidat für die Bundestagswahl sein und hat sich damit weitere Ansprüche gesichert.
Roth und Bütikofer erklärten am Montag offiziell, wie sich der Bundesvorstand die Kür der Spitzenkandidaten vorstellt: Der Parteitag soll im November ein "Spitzentandem" wählen, dem ein "Spitzenteam" an die Seite gestellt wird: die beiden Bundesvorsitzenden sowie drei weitere prominente Grüne aus den Landesverbänden. Dass Trittin und Künast sich bewerben, begrüßten Roth und Bütikofer. Die Entscheidung liege aber beim Parteitag, betonten sie.
Wie unzufrieden viele mit dem neuerlichen Aufstieg Trittins sind, war dabei daran zu erkennen, dass einige Abgeordnete weiterhin für eine Alleinkandidatur Künasts plädierten. Die Vize-Fraktionschefin Christine Scheel zum Beispiel sagte, die Doppelspitze habe "bei den Grünen zwar Tradition, aber in einem Fünfparteiensystem brauchen wir ein klareres Profil". Künast allein "verkörpert all das, was in puncto grüne Glaubwürdigkeit jetzt gefragt ist", erklärte die Finanzexpertin Scheel.
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