Nach neun Monaten steht das Kabinett: Belgien beendet Regierungskrise
Nach endlosen Verhandlungen ist es dem flämischen Konservativen Yves Leterme gelungen, eine Regierung zu bilden. Doch der Koalitionsvertrag ließ strittige Punkte aus.
BRÜSSEL afp Mit dem Amtsantritt des flämischen Christdemokraten Yves Leterme als Ministerpräsident Belgiens soll diese Woche in dem Königreich eine über neun Monate währende politische Krise zu Ende gehen. Nach den Vereinbarungen der neuen Koalitionsregierung Anfang dieser Woche steht einem schon im Dezember aufgestellten Zeitplan nichts mehr im Wege: Unmittelbar nach dem Rücktritt seines Vorgängers Guy Verhofstadt soll Leterme am Donnerstag vereidigt werden und am Samstag das Vertrauen des Parlaments ausgesprochen bekommen. Doch nicht nur die Opposition hat Zweifel, dass damit die Krise zu Ende ist, die von den Gegensätzen zwischen den Sprachgruppen beherrscht wird.
Mit der Wahl vom 10. Juni vergangenen Jahres schien in Belgien zunächst alles klar für den Wechsel. Nach zwei Regierungen, die der Liberale Verhofstadt mit einer Koalition ohne die Christdemokraten führte, hatte Leterme die flämische Schwesterpartei wieder zur stärksten politischen Kraft im Bundesparlament gemacht. Christdemokraten und Liberale aus beiden Sprachfamilien - das sollte Letermes Erfolgsrezept für die neue Regierung sein. Mit ihm an der Spitze, schließlich stellen die Niederländisch sprechenden Flamen mit etwa 60 Prozent der Bevölkerung die klare Mehrheit im Land.
Doch Letermes Rechnung ging trotz zweier Anläufe für die Regierungsbildung nicht auf. Zu groß waren die Interessengegensätze zwischen Flamen im Norden auf der einen Seite und den Frankophonen in der Wallonie sowie der überwiegend frankophonen Hauptstadtregion Brüssel auf der anderen Seite. So versuchte vor allem die mit Letermes CD&V in einer Wahlliste verbündete Neue Flämische Allianz (NV-A) in den Verhandlungen Forderungen durchzusetzen, die den frankophonen Partnern unannehmbar schienen.
Die NV-A dürfte dabei vor allem auf die Wähler Zuhause geschaut haben. Seit Jahren haben im Norden vor allem die Politiker Zulauf, die für Flandern als wirtschaftlich erfolgreicheren Landesteil nach mehr Selbstständigkeit oder gar Unabhängigkeit rufen. Die politische Konkurrenz von rechts hat damit besonderen Erfolg. So kann die fremdenfeindliche Partei "Vlaams Belang" mehr Abgeordnete ins föderale Parlament nach Brüssel schicken als beispielsweise die flämischen Sozialdemokraten.
Mit der von Verhofstadt in einer Übergangsregierung im Dezember zusammengebrachten Koalition - Christdemokraten und Liberale beider Sprachgruppen plus frankophone Sozialisten - kann sich Leterme für seine neue Regierung auf eine klare Mehrheit von 95 der 150 Parlamentsmandate verlassen. Doch die eigentliche Belastungsprobe steht Letermes Team noch bevor, weil der Koalitionsvertrag besonders strittige Fragen außen vor läßt. So hat die Regierung zu ihrem Start in dieser Woche noch keine gemeinsame Linie für die geplante Staatsreform im Sommer, von der flämische und frankophone Belgier sehr unterschiedliche Vorstellungen haben.
Zu den harten Streitthemen gehören beispielsweise das Wahlrecht der frankophonen Bewohner in dem zu Flandern gehörenden Wahlbezirk im Umland von Brüssel, aber auch die Nachtflüge am Brüsseler Flughafen Zaventem: Je nach Route bringen die Flieger entweder die mehrheitlich frankophonen Bürger Brüssels oder aber die Bevölkerung im angrenzenden Flandern um den Schlaf. Seit Jahren kämpfen Anlieger vor den Gerichten gegen den Ausbau des Airports, der auf flämischen Boden steht und dort tausende Stellen geschaffen hat.
Für Leterme wird es als Regierungschef nicht reichen, die fünf Regierungspartner zusammenzuhalten, wenn er landesweit politische Anerkennung haben will. Für die Staatsreform muss er bis zum Sommer zusätzliche Bündnispartner finden, um im Parlament die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit zu sichern. Gelingt ihm das nicht, werden vorgezogene Neuwahlen nicht ausgeschlossen. Letermes politische Karriere könnte dabei schneller enden als geplant.
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