piwik no script img

Nach kontroverser DebatteEssingen entfernt Naziglocke

Der Beschluss wird Realität: Die rheinland-pfälzische Gemeinde Essingen ersetzt die „Hitlerglocke“. Andere Orte lassen sie weiter hängen.

Kirche St. Jakob in Herxheim: Hier hängt die Glocke noch Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Es ist ein Kreuz mit den Glocken aus der NS-Zeit. In fünf evangelischen Kirchtürmen wurde in den letzten Jahren Geläut mit Nazisymbolen und Propaganda­sprüchen entdeckt. Im Ort Herxheim, nahe Bad Dürkheim, entspann sich daraufhin ein kontroverse Debatte, die bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte, auch weil dabei ein ehemaliger Bürgermeister in einem Fernseh­interview die Schrecken der Naziherrschaft relativierte.

Wenige Kilometer entfernt, im Örtchen Essingen an der südlichen Weinstraße, wurde jetzt vergleichsweise geräuschlos eine solche Naziglocke entfernt und ins Museum der Pfalz nach Speyer abgegeben. Am kommenden Sonntag wird eine neue Glocke eingeweiht, die wie vor 1936 wieder ein Bibelzitat ziert.

Bis vergangene Woche hing im Kapellenturm der Essinger Wendelinus-Kapelle eine Glocke mit der Aufschrift „Als Adolf Hitler Schwert und Freiheit gab dem Deutschen Land, goss uns der Meister Pfeifer, Kaiserslautern“, darüber der Reichsadler.

Seit Kriegsende konnte die Glocke unbehelligt läuten. Da der Glockenstuhl schwer zugänglich ist, wussten nur wenige von den Naziinschriften. Entdeckt hatte sie der Historiker Bernhard Bonkhoff, der sich als Glockenexperte einen Namen gemacht hat. Der Essinger Gemeinderat beschloss daraufhin im Herbst 2017, die Glocke auszutauschen. Bereits 2018 war in Mehlingen bei Kaiserslautern eine Glocke mit Nazisymbolen ersetzt worden. Die Landeskirche unterstützt die Gemeinden finanziell beim Austausch durch einen eigens eingerichteten Fonds.

Texttafel ordnet die Glocke historisch ein

Der Auslöser für die Kirche der Pfalz, sich systematisch mit Kirchenglocken zu beschäftigen, war die Debatte in Herxheim. Dort hatte eine ehemalige Organistin gefordert, die Glocke mit der Inschrift „Alles fuer’s Vaterland – Adolf Hitler“ abzuhängen. Der Ort müsse sich von der Naziglocke befreien. Der bis heute amtierende Bürgermeister Georg Welker hat daraufhin seine Wahl mit dem Versprechen gewonnen, die Glocke an ihrem Ort zu belassen. Mittlerweile ordnet eine Texttafel die Glocke mit dem Hakenkreuz historisch ein, doch die unterschiedlichen Meinungen stehen sich im Ort immer noch unversöhnlich gegenüber. Beim Verwaltungsgericht Neustadt ist eine Klage wegen verbotener Nazisymbole anhängig.

In Essingen ist die Entscheidungsfindung offenbar besser gelungen. Er sei eigentlich auch für den Verbleib der Glocke im Turm gewesen, sagt Wilfried Schweikart. Er ist der Vorsitzende des ­Wendelinus-Vereins, der sich um den Erhalt der Kapelle aus dem 13. Jahrhundert kümmert. Eine solche Glocke könne ein Anlass sein, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sagt Schweikart.

Wie mit solchen Glocken allgemein umzugehen sei, will die pfälzische Landeskirche aber weiter von Fall zu Fall entscheiden. Glockenexperte Bonkhoff schlägt dagegen eine Richtlinie für den Umgang vor. Das Problem bestehe bundesweit.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen